Gepachtete Moral, erhobener Zeigefinger
Aber nicht, weil sie gute Menschen sein wollen. Sondern wegen ihres Gestus moralischer Überlegenheit. Und weil sie zwei moralische Kategorien verwechseln.
Er ist einer der umstrittensten Begriffe unserer Zeit, im Jahr 2015 schaffte er es sogar zum Unwort des Jahres: der „Gutmensch“. Um ihn herum baute sich ein Spannungsfeld auf, entstanden Gräben, die kaum überwindbar scheinen. Warum entzweit aber gerade der „gute Mensch“die Gesellschaft und die Politik? Den Begriff des „Gutmenschen“gibt es schon seit den 90er-Jahren, seit der Flüchtlingskrise erlebt er eine Hochkonjunktur. Die Definition als „berufsmäßiger Moralist“wird durchwegs abwertend verstanden. Es erscheint auf den ersten Blick als paradox, dass ein positives Begriffspaar, der „Mensch“und das „Gute“, dermaßen polarisiert. Etwas an sich Gutes und jene, die es verkörpern, sind in Verruf geraten. Sie werden als etwas Negatives und Nervendes aufgefasst.
Es will aber doch niemand das Gegenteil sein, also ein „Schlechtmensch“– dieses Wort gibt es bezeichnenderweise nicht – oder gar ein „Unmensch“! Dies wird von den Verteidigern der „Gutmenschen“auch immer wieder ins Treffen geführt; Es sollten doch alle Menschen das Gute wollen, vor allem die Christen.
Und hier wird es dann oft politisch, indem man den „christlichen“Parteien vorwirft, ihre Prinzipien zu verraten. Besonders offenkundig wurde das zuletzt in der Frage der Migration und der Flüchtlinge. Wie könne eine Partei, so hieß es immer wieder in Deutschland und Österreich, die das Christliche im Programm hat, eine so unmenschliche Politik machen? In dieser Frage kam es zu interessanten Allianzen: Grüne und Linke mahnten gemeinsam mit christlichen Organisationen eine Politik der „Humanität und Nächstenliebe“ein. Was löst nun dieses Unbehagen im Hinblick auf den „Gutmenschen“aus, selbst bei Menschen, die selber Gutes tun und das Gute wollen? Es geht nicht bloß um Politik, also um verschiedene Lösungsansätze für ein reales Problem, sondern um viel mehr: Es geht um Moral, um die Scheidung von Gut und Böse. Und hier liegt das Problem mit den „Gutmenschen“. Da ist einmal der berechtigte Vorwurf der zur Schau gestellten moralischen Überlegenheit jener, die sich als besonders tolerant wähnen: Nur mein Standpunkt ist der richtige, ich stehe auf der Seite des Guten! Dies impliziert, dass alle anderen, die nicht so denken, automatisch falschliegen und auf der Seite des Bösen stehen. Das erzeugt naturgemäß Widerstand bei den „Bösen“, die sich diese Zuordnung nicht gefallen lassen. Es widerspricht auch dem demokratischen Prinzip, das unterschiedliche, ja widersprechende Meinungen und Zugänge zu einer Frage ausdrücklich bejaht und als Motor des Diskurses und der Problemlösung benötigt. Ansonsten sind wir beim in diesem Zusammenhang oft vorgebrachten Vorwurf des „Gesinnungsterrors“.
Ein Motiv der Ablehnung der „Gutmenschen“besteht im Ostentativen ihrer Haltung, im gerne erhobenen Zeigefinger, der sie unsympathisch erscheinen lässt. Kritik wird nicht vertragen, da man sich ja prinzipiell im Recht wähnt, und mit der Moralkeule beantwortet. Da sind die anderen dann die „Rassisten“, „Islamophoben“oder gar „Nazis“. Die für sich gepachtete Moral wird zur Waffe gegen Andersdenkende. Damit werden die Moral und das Anliegen dahinter unglaubwürdig. Übersehen wird dabei auch, dass bei dermaßen schwerem Geschütz die Waffen bei wirklich Radikalen dann bereits stumpf sind – und nicht mehr wirken. Somit sind diese Übertreibungen schädlich und machen die Absender zudem unglaubwürdig bei anderen, berechtigten Kritikpunkten.
Die „Gutmenschen“unterliegen zudem einem grundsätzlichen Missverständnis, was die Rolle und die Aufgaben der Politik und der Politiker betrifft. Sie vermischen Individualethik, Sozialethik und Gemeinwohl: Wenn ich persönlich der Meinung bin, dass ich allen Menschen, die an meine