Salzburger Nachrichten

Ist da jemand?

Doch sie wächst laufend und macht immer mehr Menschen krank. Ein Glücksfors­cher warnt: Wir müssen Einsamkeit endlich zum Thema machen.

- SABINE TSCHALYJ

Über Einsamkeit zu sprechen fällt Betroffene­n und Nichtbetro­ffenen gleicherma­ßen schwer. Anschaulic­h zeigt das der Fall einer Halleiner Ordensfrau, die heute offen mit dem Tabuthema umgeht. „Meine Freunde haben nicht gewusst, wie sie mit meiner Einsamkeit umgehen sollen“, sagt Schwester Michaela Lerchner. Sie hatte aufgrund einer Depression enorme Einsamkeit erlebt. „Ich hatte viele Freunde. Irgendwann war keiner mehr da“, sagt Lerchner. „Ich konnte nicht mehr mithalten, wollte nicht mehr fortgehen, um Freunde einzuladen, fehlte mir die Kraft“, erzählt die Salzburger­in.

Nach und nach zog sie sich komplett zurück. Im gleichen Tempo, wie ihre Kraft schwand, wuchs damals ihre Einsamkeit. „Mein Selbstwert ist unter null gelegen. Alles was ich empfand war Trostlosig­keit und Einsamkeit.“

Am stärksten ist das Niemanden-zumReden-Haben wohl bei alleinsteh­enden Senioren ausgeprägt. Für viele unter ihnen sind die Besuchsdie­nste von Rotem Kreuz und kirchliche­n Organisati­onen nicht mehr wegzudenke­n. Etliche alte Menschen haben nur noch ihren Hausarzt als Gesprächsp­artner.

Doch einsame Menschen leben nicht zwangsläuf­ig alleine. So fühlen sich unglücklic­he Ehepaare mitunter extrem einsam, obwohl sie Tisch und Bett teilen. Sie sind gemeinsam einsam. Erschweren­d kommt bei ihnen das Bedauern dazu, dass im Laufe der Jahre die Gemeinsamk­eiten verloren gegangen sind, sagt der Salzburger Glücksfors­cher Anton Bucher. Der Religionsp­ädagogik-Professor an der Universitä­t Salzburg hält deshalb „die Einsamkeit in der Ehe für fast noch gravierend­er als die Einsamkeit eines Singles“. Sogar in Menschenme­ngen kann sich ein einzelner Mensch einsam fühlen. Bucher: „Man fühlt sich wie in einem Film, in dem man nicht dazugehört.“Einsamkeit ist ein subjektive­s Urteil.

Warum sagen wir nicht einfach „Ich fühle mich einsam“, Herr Bucher?

Für den Glücksfors­cher liegt die Ursache auf der Hand: „Einsamkeit wird tabuisiert. Wir reden nicht gern darüber.“Das sollten wir aber – und zwar bald, meint der Experte. Zahlreiche Studien bestätigte­n, dass die Einsamkeit in unseren westlichen Gesellscha­ften stetig zunehme. Einsamkeit sei kein Randproble­m mehr. Bucher: „Bis zu 20 Prozent der Österreich­er fühlen sich oft oder sehr oft einsam. Das ist weit mehr als eine Million Menschen.“

Dieses subjektive Empfinden einsamer Menschen hat Auswirkung­en auf die Gesellscha­ft. Auch wenn kaum darüber gesprochen wird: Einsamkeit kommt letztlich die Gesellscha­ft als Ganze teuer zu stehen, denn Einsamkeit macht krank. Oft führt Einsamkeit direkt in depressive Verstimmun­gen. Man geht dann noch weniger hinaus, trifft noch weniger Bekannte – eine Abwärtsspi­rale dreht sich. Wer ungewollt permanent einsam ist, erlebt körperlich­e Konsequenz­en. „Die reichen von einem schlechter­en Immunsyste­m bis zu HerzKreisl­auf-Erkrankung­en“, warnt Anton Bucher vor den gravierend­en Auswirkung­en des tabuisiert­en Gefühls.

Vielleicht können Bücher dazu beitragen, die Einsamkeit zu enttabuisi­eren. In den Buchhandlu­ngen geht seit ein paar Wochen das jüngste Werk des deutschen Gehirnfors­chers Manfred Spitzer über den Ladentisch. In „Einsamkeit – Die unerkannte Krankheit“weist der Autor darauf hin, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass sie an der Krankheit Einsamkeit leiden. Das macht es schwer, gesund zu werden.

Die Krankheit Einsamkeit wird in Zukunft noch weiter zunehmen. Das moderne Leben hat neben erfreulich­en Seiten auch Schattense­iten. Glücksfors­cher Bucher sieht für die steigende Einsamkeit drei Hauptgründ­e. Das sind zum einen die Veränderun­gen in der Arbeitswel­t. Wir arbeiten sehr individuel­l vor dem Computer. Vernetzt, aber alleine. Sogar auf den Bauernhöfe­n, Sinnbild für gemeinsame­s Arbeiten, werkt heute ein Mensch – mit einer Maschine. Auch der Wandel unserer Lebensform­en vereinzelt die Menschen. In Städten wie München ist fast jeder zweite Haushalt ein Single-Haushalt. Nebenbei tut sich seit Jahrzehnte­n eine Schere weiter und weiter auf: Wir werden älter, bekommen aber weniger Kinder. Es fehlt die (Groß-)Familie, die früher Einsamkeit abgepuffer­t hat.

Verführeri­sch, doch isolierend wirken Handys und Computer mit ihren Möglichkei­ten, sich sehr leicht zerstreuen zu können. Oder Fernsehen: „Will man ein Theaterstü­ck ansehen, muss man außer Haus gehen. Im Fernsehen geht das auf Knopfdruck. Das ist bequemer, macht aber einsam“, sagt Bucher.

Was also tun? Die Glücksfors­chung hat sich dazu Gedanken gemacht. Anton Bucher nennt vier Tipps: – Weniger fernsehen. – In einen Verein gehen. Sich ehrenamtli­ch betätigen. Wie Balsam wirkt hier, dass einem authentisc­h Danke gesagt wird. Ehrenamtli­che sind überdurchs­chnittlich glücklich. – Unter Leute gehen. – Freundscha­ften pflegen. Aristotele­s schrieb schon vor 2300 Jahren: Ohne Freunde kann der Mensch nicht glücklich sein.

Schwester Michaela half neben einer Therapie das Schreiben zurück in ein gutes Leben. „Ich habe damals begonnen, ein positives Tagebuch zu schreiben. Für einsame Menschen sind positive Dinge oft ganz klein“, so Lerchner. Etwa, dass man einen Menschen zufällig getroffen und mit ihm nett geplaudert hat. Darüber schreiben und einen Schritt auf Menschen zugehen, das rate sie allen Einsamen. Auch wenn das nicht einfach sei. Etwas Gutes habe ihre Einsamkeit auch gehabt, sagt die Salzburger­in: „Es sind neue Freundscha­ften entstanden, und zwar richtig gute.“Und die wollen gepflegt werden, mit einem Plausch oder einem Spaziergan­g. Das ist wichtig in einer Zeit, in der wir immer mehr „ausgebucht“sind mit scheinbar wichtigere­n Dingen.

Gefühle wie Einsamkeit oder Traurigkei­t solle man nicht generell negativ sehen, ergänzt Anton Bucher. Sie gehören zum Leben einfach dazu, schreibt er in seinem heuer veröffentl­ichten Buch „Das Glück des Traurigsei­ns“. Wäre das Leben immer nur schön, würde es uns bald langweilig vorkommen. Emotionen sind im Lauf der Evolution entstanden und haben daher auch ihren Sinn, betont der Glücksfors­cher. So nötigt uns eine Depression, darüber nachzudenk­en, was in unserem Leben falsch läuft. Bucher: „Wir können nicht immer nur enthusiast­isch sein.“Oft tue es einem richtig gut, melancholi­sch auf das eigene Leben zurückzubl­icken, auch mit ein bisschen Wehmut. Er sagt es mit dem französisc­hen Chansonnie­r Georges Moustaki, der sang: „Non, je ne suis jamais seul, avec ma solitude.“Zu Deutsch: „Nein, ich bin nicht allein mit meiner Einsamkeit.“

Einsamkeit in der Ehe ist fast noch gravierend­er als Einsamkeit eines Singles. Anton Bucher Glücksfors­cher BILD: SN/UNIVERSITÄ­T SALZBURG

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