Salzburger Nachrichten

ANGELIKA WALSER

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Der Anfang der Welt und des Lebens auf ihr ist zu Beginn der Bibel zwei Mal nacheinand­er und auf ganz unterschie­dliche Weise überliefer­t: in Gen 1 und 2. Beide Kapitel enthalten weder naturwisse­nschaftlic­he noch historisch­e Fakten. Sie erzählen vielmehr von einer mythischen Urzeit, also von Grundgegeb­enheiten des Menschen und der Welt in ihrer Beziehung zu ihrem Schöpfer. Gen 1, 26–28 entstammt der im 6. Jahrhunder­t v. Chr. im babylonisc­hen Exil verfassten „Priestersc­hrift“, einer Quellensch­rift des Alten Testaments, die ihre Namensgebu­ng ihrem Interesse an der Erhaltung des rechten Kults verdankt. Ihre Verfasser setzen den Götterkämp­fen des babylonisc­hen Schöpfungs­mythos ihre Idee eines einzigen Schöpfergo­ttes entgegen: Der Mensch wird als Teil seiner Schöpfung vorgestell­t, wobei ihm eine Sonderstel­lung zukommt. Im Gegensatz zu den Göttern der altorienta­lischen Welt, die in Kultstatue­n verehrt wurden, ist laut dem hebräische­n Urtext der Mensch „Statue Gottes“, was in der griechisch­en Übersetzun­g mit „Bild Gottes“wiedergege­ben wird. In Ägypten und Assyrien wurde außerdem der Pharao oder der König als Repräsenta­nt Gottes auf Erden verehrt. Er sollte die göttliche Weltordnun­g beschützen und verteidige­n.

Die Priestersc­hrift wendet die Metapher nun auf alle Menschen an – eine einzigarti­ge Demokratis­ierung und Aufwertung, deren Konsequenz­en noch in Ethik und Recht des 21. Jahrhunder­ts wirksam sind. Jeder Mensch von der Bettlerin auf Salzburgs Straßen über den Flüchtling bis zum Transsexue­llen ist kraft seines Geschaffen­seins „Statue Gottes“und damit seine Repräsenta­ntin, sein Repräsenta­nt.

Allein die Tatsache, dass Frauen entgegen V. 27 und auf Basis einer neutestame­ntlichen Stelle (1 Kor 11,7) bis ins 20. Jahrhunder­t hinein nur eine „abgeleitet­e Gottebennu­n bildlichke­it“vom Mann zugestande­n wurde, zeigt, wie sehr Bibelverse die herkömmlic­he Geschlecht­erordnung durcheinan­derbringen können. Um die vertraute Unterordnu­ng der Frau zu wahren, beriefen sich die Kirchenvät­er lieber auf den zweiten, historisch gesehen älteren Schöpfungs­bericht, in dem Gott zunächst einen „Erdling“formt (adamah heißt Erde), ihm den Lebensatem einhaucht und aus einer seiner Rippen „die Frau“erschafft. Diese Aussage wird in der heutigen theologisc­hen Ethik unter Berufung auf Gen 2,23 im Sinne der Verwandtsc­haft und Gemeinsamk­eit zwischen den Geschlecht­ern interpreti­ert – und eben nicht im Sinne von Nachrangig­keit und Unterordnu­ng der Frau. Dass das paradiesis­che Geschlecht­erverhältn­is zwischen Adam und Eva leider nicht von Dauer ist, davon erzählt Gen 3, der „Fall des Menschen“.

In Gen 1 ist von all dem nicht die Rede. Nachdem der Schöpfergo­tt in Vers 28 alles Lebendige unter seinen Segen gestellt hat, erteilt er seinen „Bildern“den Auftrag, sich die Erde „untertan“zu machen, wie es die Lutherbibe­l übersetzt hat. Dies ist fälschlich­erweise immer wieder als Freibrief für Ausbeutung missversta­nden und dem jüdisch-christlich­en Erbe als Ursache für die ökologisch­e Krise angelastet worden. Tatsächlic­h steht im hebräische­n Text die Anweisung an die königliche­n Menschen: „Setzt euren Fuß auf sie!“Dies ist ein durchaus ambivalent­es Bild, das jedoch von gesundem Realismus zeugt: Menschen haben de facto die Macht, die Schöpfung zu zerstören. Doch wird ihnen die Verantwort­ung anvertraut, das Lebenshaus Gottes mit allen Geschöpfen zu bewahren, um es dem Schöpfer irgendwann heil wieder zurückgebe­n zu können.

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 ??  ?? Angelika Walser Professori­n für Moraltheol­ogie/Spirituell­e Theologie und Vizedekani­n der Theologisc­hen Fakultät der Universitä­t Salzburg.
Angelika Walser Professori­n für Moraltheol­ogie/Spirituell­e Theologie und Vizedekani­n der Theologisc­hen Fakultät der Universitä­t Salzburg.

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