WELT
Die Lawine in Galtür, die Massenpanik auf dem Bergisel und schließlich die größte Brandkatastrophe mit zwölf Toten im Tauerntunnel: Ein Überlebender und ein Helfer erinnern sich an jenen Morgen des 29. Mai 1999 zurück.
Bayern wählt. SN-Redakteurin Gudrun Doringer ist auf dem Münchner Viktualienmarkt der Krise der CSU nachgegangen.
Der Mann, der auf dem Titelbild der SNAusgabe vom 31. Mai 1999 ein Mädchen aus Traunstein in Sicherheit bringt, trägt auch heute noch eine rote Einsatzjacke. An jenen Samstag im Mai 1999 um 5 Uhr früh kann sich Rotkreuzmann Horst Ortner noch gut erinnern. Er hatte frei. Aber als die Sirene drei Mal im Ort ertönte und der Flachauer von der nahen Autobahn dumpfe Knalle hörte, meldete er sich in der Leitstelle, um zu fragen, ob er helfen könne.
Zu dem Zeitpunkt wusste Ortner noch nicht, dass sich die größte Tunnelkatastrophe Österreichs abspielte. Im einröhrigen Tauerntunnel war eine Baustelle mit Ampelregelung. Ein Sattelschlepper war auf die stehende Kolonne aufgefahren. Ein mit Tausenden Lackspraydosen beladener Lkw begann zu brennen. Das Inferno nahm seinen Lauf. Zwölf Menschen starben, 42 wurden verletzt.
Als Ortner am Einsatzort ankam und den Rauch sah, wusste er, dass das nicht gut ausgehen konnte. „Wir konnten nicht mehr in den Tunnel, es hat zu stark geraucht.“Ortner kümmerte sich mit Kollegen um jene, die es ins Freie geschafft hatten. An der Raststation „Tauernalm“wurden die Patienten versorgt. „Aber als die Sonne am Morgen aufging und den Rauch herunterdrückte, mussten wir alle evakuieren, weil sich Lungenödeme entwickelten. Da ist auch dieses Foto entstanden. Das Mädchen hatte eine Fußverletztung. Wir haben alle ins Krankenhaus Schwarzach gebracht.“
Die Politik gab nach dem Unglück den Bau der zweiten Röhre in Auftrag. 2006 erfolgte der Spatenstich, 2010 wurde sie fertiggestellt. Hermann Strell aus Teisendorf war am 29. Mai 1999 gerade mit seiner Familie auf dem Weg nach Bibione in den Urlaub. Er fuhr, als die Ampel grün war, in den Tauerntunnel ein und erlebte am Steuer hautnah mit, wie der Lkw in die Kolonne krachte. Zuerst blieb Strell im Auto sitzen und sagte seiner Tochter und seiner Nichte, sie sollten aussteigen und rauslaufen. „Mein Plan war, dass ich da bleibe und mit dem Auto umdrehe“, schildert er den SN 19 Jahre später am Telefon. Doch dann sei alles rasend schnell gegangen. „Das Feuer, da wusste ich, ich muss raus, es hilft nix.“An der Wand habe er sich entlanggetastet. Bis er keine Luft mehr bekam und sich das Taschentuch notdürftig vor den Mund hielt. Auch seine Frau überlebte das Unglück. Draußen angekommen, hätten ihnen Leute ein Getränk gegeben. „Das habe ich nicht runtergebracht, ich habe es ausgespuckt, und da war alles schwarz, alles voller Ruß.“Drei Jahre lang musste Strell nach dem Unglück einen Spray verwenden, um keine bleibenden Schäden an der Lunge davonzutragen. Die Bilder von damals vergesse man nicht so leicht, aber es werde mit der Zeit besser, erzählt Strell den SN. Jahrelang sei er nicht mehr durch den Tauerntunnel, wenn er mit der Familie in den Süden gefahren sei. „Wir sind sicher zehn Mal oben drüber, über Obertauern.“Doch einmal blieb ihm nichts anderes übrig. „Ich bin damals in Freilassing beschäftigt gewesen und wir sind eingeladen worden. Da saß ich als Beifahrer im Privat-Pkw und konnte es mir nicht aussuchen. Ich habe im Auto die Arschbacken zusammengekniffen und noch geschaut, wo die Stelle war.“Heute fährt er wieder durch den Tunnel, auch wenn ein spezielles Gefühl bleibt. „Es ist mit der Zeit besser geworden, man wird ruhiger, auch weil Freunde vorausgefahren sind. Und mit der zweiten Röhre ohne Gegenverkehr wurde es dann besser.“Strell war auch als Zeuge bei der Gerichtsverhandlung gegen den Unfalllenker geladen. Und kann sich erinnern, wie jene Mutter, die einen Sohn verloren hat, mit den Worten „Mörder“auf den Fahrer auf der Anklagebank zugelaufen sei. Der Teisendorfer war auch bei der ZehnJahr-Gedenkfeier 2009 in Flachau. Das Bild, das damals mit Landeshauptmann-Stellvertreter Wilfried Haslauer entstanden sei, habe er heute noch. Einfach zu verdauen sei das alles nicht gewesen. „Ich hatte teils schlaflose Nächte, weil der Film wieder vor meinen Augen abgelaufen ist. Aber Gott sei Dank, wir sind alle heil da.“Der Brand im Tauerntunnel war nicht die einzige Katastrophe im Jahr 1999. Am 23. Februar geschah im Tiroler Paznauntal das größte Lawinenunglück Österreichs. 38 Menschen starben in Galtür. Heute schützt ein 345 Meter langer und 19 Meter hoher Schutzwall den Ort. In der Mauer ist mit dem „Alpinarium“ein Museum errichtet worden. Auch der 4. Dezember 1999 geht als schwarzer Tag in die Geschichte ein. Im Innsbrucker Bergisel-Stadion brach bei einem Snowboard-Freestyle-Event unter den 40.000 Zuschauern eine Massenpanik aus. Sechs Menschen starben.