Salzburger Nachrichten

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Vor zehn Jahren platzte die Dopingaffä­re um Bernhard Kohl. Die Wochen rundherum waren noch spannender als das Dopinggest­ändnis.

- Bernhard Kohl, Ex-Radprofi Bernhard Kohl ist heute Unternehme­r.

Vor zehn Jahren platzte die Dopingaffä­re um den Radprofi Bernhard Kohl. Was noch spannender als sein Geständnis war.

SALZBURG. Die Rad-WM 2008 in Varese hatte sportlich nichts zu bieten, was in Erinnerung bleiben müsste. Wozu auch, denn das interessan­teste Gerücht, das sich dort wie ein Lauffeuer verbreitet­e, fand nie den Weg in die Medien: Offenbar habe es bei der Tour de France verbessert­e Blutnachte­sts durch die französisc­he Anti-Doping-Agentur AFLD gegeben, die speziell auf den Wirkstoff EPO (Erythropoi­etin) und die EPO-Präparate CERA und MIRCERA gezielt hätten. Das Resultat: 12 der Top 14 im Endklassem­ent seien positiv getestet worden. Es war ein Gerücht, welches den Radsport erschütter­t hat, aber noch erschütter­nder war, dass es niemand für unmöglich gehalten hatte.

Das Gerücht zielte auch auf den Sensations­mann der Schleife durch Frankreich ab: Bernhard Kohl, ein damals 26-jähriger Österreich­er, der zuvor bestenfall­s den Sportinter­essierten in seinem Land etwas gesagt hat. Die ganz große Stunde des Niederöste­rreichers schlug schon auf der ersten Alpenetapp­e: In den steilen Kehren hinauf in die italienisc­he Skistation Prato Nevoso flog er dem Feld förmlich davon und übernahm als erster Österreich­er die Führung in der Bergwertun­g der Tour. Am Ende des Tages fehlten Kohl nur sieben Sekunden auf das gelbe Führungstr­ikot des Luxemburge­rs Fränk Schleck. „Von einem Sieg in Paris zu sprechen wäre jetzt vermessen“, sprach der noch schüchtern­e Profi, aber dass man in seinem Team Gerolstein­er davon geträumt hat, das zeigten die Reaktionen. „Leider hat es noch nicht mit dem Gelben Trikot geklappt“, meinte Kohls sportliche­r Leiter Christian Henn.

Kohl sollte das Bergtrikot bis nach Paris tragen und diese Auszeichnu­ng als erster Österreich­er gewinnen, am Ende gab es in der Gesamtwert­ung Rang drei, und jetzt war er inmitten der Weltspitze angekommen. Der belgische Rennstall Lotto legte Kohl einen Dreijahres­vertrag vor. Kolportier­tes Fixum: über eine Million Euro pro Jahr.

Die Tage nach der Tour waren für Kohl ein einziger Triumphzug durch Österreich, die große Ehrung war für Ende Oktober reserviert: Mit überwältig­endem Vorsprung war er zu Österreich­s Sportler des Jahres gewählt worden, das Resultat war nur wegen der ausstehend­en Gala noch nicht bekannt gegeben worden. Die SN trafen Kohl Ende September 2008 aus diesem Grund zu einem Exklusivin­terview in Kitzbühel, bei dem es auch um das Thema Doping gegangen ist. Kohl machte keinen Bogen um das Thema, ganz im Gegenteil: Er sprach es vielmehr von sich aus ganz offensiv an. Die Originalzi­tate aus dem nie veröffentl­ichten Interview: SN: Fast jeder junge Radprofi kommt zwangsläuf­ig mit dem Thema Doping in Berührung. Wie war es bei Ihnen? Kohl: „Es war für mich nie ein Thema und ich habe daher kein Problem, darüber zu sprechen. Meine Trainer zu Jugendzeit­en haben dies schon abgelehnt, daher kam ich auch nie mit solchen Sachen in Berührung. (...) Wir haben im Radsport einen Neustart hinter uns und sind absolut sauber. Es liegt an den Medien, das zu verbreiten.“

Das Interview war schon beendet, als Kohl noch einmal darauf zu sprechen kam: Er verwies auf den großen Einfluss seines Jugendtrai­ners auf seine Karriere. „Ich könnte ihm doch nie mehr in die Augen sehen, wenn ich jemals etwas mit Doping zu tun gehabt hätte.“

Die Bombe platzte auf Raten: Am 13. Oktober veröffentl­ichte die französisc­he Sportzeitu­ng „L’Équipe“zwei Namen, bei denen die Nachtests offenbar positiv gewesen seien: Bernhard Kohl und Stefan Schumacher. Bei Kohl waren gleich zwei Dopingprob­en während der Tour positiv – es war jeweils MIRCERA nachgewies­en worden. Das Mittel dient zur Bildung sauerstoff­transporti­erender roter Blutkörper­chen und wird hauptsächl­ich bei Nierenerkr­ankungen eingesetzt. Kohl ging auf Tauchstati­on, wollte die B-Probe öffnen lassen, ehe er einen Tag später eine 180-Grad-Wendung machte: Er gestand sein Dopingverg­ehen ein. „Ich bin nur ein Mensch und ich bin schwach geworden“, erklärte er mit den Tränen ringend.

Kohl packte aus, nannte die Hintermänn­er, kooperiert­e mit den Ermittlung­sbehörden. Er belastete vor allem seinen Ex-Manager Stefan Matschiner schwer: Er habe 60.000 Euro in den Kauf einer Blutzentri­fuge durch Matschiner investiert, gestand Kohl und gab zu, was niemand im heimischen Radverband hören wollte: Bereits seit seinem 20. Lebensjahr habe er regelmäßig gedopt.

Wegen seiner Kooperatio­n mit den Behörden wurde die erst lebenslang­e Sperre reduziert, seit 2014 dürfte Kohl wieder fahren. Doch davon wollte er nie wieder etwas wissen, er trat schon im Mai 2009 zurück – und war erleichter­t. Er möchte nie wieder Teil des Dopingsyst­ems werden. „Ich möchte jetzt wieder der Bernhard Kohl von früher sein, der niemand mehr anlügen muss.“

Was ihm geblieben ist? Finanziell fast nichts. In den zwei Jahren beim deutschen Team Gerolstein­er habe er rund 150.000 Euro brutto verdient, die habe er in den zwei Jahren auch für Doping aufgebrauc­ht, gestand er später. Warum er alle Weggefährt­en belogen hat? „Irgendwann hast du den Tunnelblic­k, bist in dem System gefangen“, sagt er. Und der Millionenv­ertrag mit Lotto? „Den habe ich noch daheim.“

PS: Als Sportler des Jahres 2008 wurde wenig später Thomas Morgenster­n geehrt.

Kohl betreibt heute in der Triester Straße in Wien nach eigenen Angaben Österreich­s größtes Radgeschäf­t, in dem er auch regelmäßig anzutreffe­n ist.

Und was wurde aus den anderen Verdachtsf­ällen bei der Tour? Auch dazu kursieren wilde Theorien: Schumacher und Kohl kamen beide aus dem deutschen Team Gerolstein­er, das bereits Ende August 2008 mitgeteilt hat, dass es sich mit Jahresende zurückzieh­en werde. Nur deshalb seien die beiden als Bauernopfe­r ausgewählt worden, die Fahrer der Teams, die weitermach­ten, seien geschont worden.

Wahr? Falsch? Auch das ist Teil der langen Geschichte der Lügen im Radsport.

Mit der Bernhard Kohl jetzt nichts mehr zu tun hat. Zum Vorbild taugt er deswegen aber auch noch nicht.

„Ich bin nur ein Mensch und ich bin schwach geworden.“

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BILD: SN/GERHARD DEUTSCH
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