Ein göttlicher Auftrag siegt über die Liebe
„Les Troyens“von Hector Berlioz wurden in der Wiener Staatsoper einhellig bejubelt.
Erst hat Dido, die Königin von Karthago, die Flüchtlinge aus Troja freundlich aufgenommen, entbrennt gar in Liebe zu deren Anführer Enée, und dann das: Die Trojaner verlassen schnöde das Paradies, um nach Italien weiterzusegeln. Enée muss ja Rom gründen, das hat er den Göttern und trojanischen Opfern versprochen, die sich drängend einschalten. Dido macht eine Wandlung durch, die sehenswert ist – und hörenswert.
Mezzosopranistin Joyce DiDonato durchmisst als verlassene Dido – schlicht im Halbdunkel vor dem Vorhang – atemberaubend alle Zustände, von der bittenden Geliebten über die enttäuschte und dann verzweifelte Frau bis hin zur rasenden Furie, die zuletzt resigniert und nur mehr Enée verfluchen kann, ehe sie sich ersticht. Der Höhepunkt eines opulenten Abends, der in der Wiener Staatsoper bei der Premiere am Sonntag einhellig bejubelt wurde.
Hector Berlioz hat die fünfstündige, strichlose Fassung nie auf der Bühne gesehen. Ob er danach etwas geändert hätte? Wohl nicht, denn der egomanische Großformatist hat alles in „Les Troyens“gepackt, was sein kompositorisches Denken ausmachte, und das war himmelstürmend. Diese Wiener „Trojaner“sind wegen der Kooperation eine Neueinstudierung der Oper, die Regisseur David McVicar 2012 in London und danach in Mailand und San Francisco herausbrachte. Trotz des Aufwandes ist es um das kolossale Werk in letzter Zeit nicht so schlecht bestellt, Lydia Steier inszenierte es in Dresden 2017, Michael Thalheimer 2015 in Hamburg. Unvergessen ist die Inszenierung von Herbert Wernicke bei den Salzburger Festspielen 2000 mit dem weißen Halbrund und dem Spalt, durch den nicht nur die Heerscharen drängten, sondern auch das trojanische Pferd sichtbar wurde.
Bei McVicar dominiert das Pferd gar die Szene, die Bühnenkünstlerin Es Devlin schmiedete aus Waffenteilen einen riesigen Pferdekopf, den die Trojaner nach dem vorgeblichen Abzug der Griechen in die Stadt ziehen und damit dem Untergang ausliefern. Vergils „Aeneis“begleitete Berlioz zeitlebens, er schrieb das Libretto selbst, ehe er den ersten Ton komponierte. Diesbezüglich kann man ihn mit Richard Wagner vergleichen, vom Zeitgefühl her und auch vom Anspruch stimmlicher und instrumentaler Einsätze. Regisseur McVicar ist – wie sonst Peter Stein – ein altmodischer Storyteller, er bleibt in der Personenführung am Text, muss allerdings auch Hundertschaften bewegen. Zahllose Kleindarsteller werden an die Rampe geführt, alles dient dem Verständnis. Jeder darf in seiner Rolle glänzen, besonders die drei „Stars“.
Das ist in Troja Cassandre, und nachdem für die erkrankte Anna Caterina Antonacci kurzfristig Monika Bohinec einspringen musste, ist ihre enorme Leistung nur zu bewundern. Die Warnerin vor der List der Griechen kann sich – angezweifelt sogar vom Bräutigam Chorèbe (Adam Plachetka) – nicht durchsetzen gegen die Jubelstimmung des Volkes, die alsbald in Todesängste kippt. Ein blutiger Hector (Anthony Schneider) weist Enée die Flucht, alles ist verloren. Nach den düsteren martialischen Szenen in Troja wirkt Karthago wie ein buntes nordafrikanisches Bilderbuch, die Bühnenbildnerin scheut sogar vor Kitsch nicht zurück, was aber nicht stört. Dido, selbst Flüchtling, nimmt die Trojaner auf und Enée an die Brust. Brandon Jovanovich lässt nun seinen Heldentenor strahlen, die Liebe könnte so schön sein. Die Götter und das Schicksal wollen es anders. Und Berlioz erfand für alle Emotionen eindringliche Klangwelten.
Da kann das formidable Staatsopernorchester unter dem tollen Dirigenten Alain Altinoglu ebenso triumphieren wie der mit slowakischen Kollegen aufgerundete Staatsopernchor, auch das Ballett wird sinnvoll eingefügt. Das ist nun wirklich eine üppige „Grand opéra“, wie man sie selten sieht. Oper: „Les Troyens“von Hector Berlioz. Wiener Staatsoper, Aufführungen am 21., 26. 10. und 1. 11.