Salzburger Nachrichten

Das Kopftuch schützt nicht mehr

Ein Tuch könnte den Kopf vor Sonne, Wind, Regen und Kälte bewahren. Doch seit Jahrtausen­den ist anderes wichtiger.

- Fotografie „Mind over Matter – Voltar“von Suzanne Jongmans. Ausstellun­g: „Verhüllt, enthüllt! – Das Kopftuch“, Weltmuseum, Wien, bis 26. Februar 2019.

Eh klar: flämische Patrizieri­n, frühe Renaissanc­e, porträtier­t vielleicht von Hans Memling oder Rogier van der Weyden. Wer mit solchem Schnellurt­eil an der jungen Schönen vorbeieilt, hat einiges übersehen. Nur auf den ersten Blick schaut das über den kegelförmi­gen Hut geschlunge­ne Material aus wie das lichte, hauchdünne Tuch einer Niederländ­erin des 15. Jahrhunder­ts. Hier umgibt Verpackung­splastik den Kopf. Über den Hut ist ein Netz gespannt, das im Supermarkt als Orangensac­kerl gedient haben könnte. Dessen Metallvers­chluss ist da, wo eine reiche Dame aus Brügge eine Perle oder einen Edelstein hätte tragen können.

Dieses Foto der Niederländ­erin Suzanne Jongmans ist eine raffiniert­e Ein- und Verführung in die heute, Mittwoch, im Weltmuseum in Wien zu eröffnende Ausstellun­g über das Kopftuch. Heutige Verpackung bietet dasselbe wie einst ein eckiges Stoffstück, nämlich Schutz. So ein schmiegsam­es Tuch kann einen Kopf vorzüglich vor Regen, Sonne, Kälte und Wind schützen.

Wie für das Material auf Suzanne Jongmans Fotografie ist auch für das echte Kopftuch die ureigene Funktion des Schutzes fast bedeutungs­los geworden. Vielmehr ist ein Kopftuch ein soziales Zeichen – als mehr oder weniger kesser Schmuck, als Ausdruck für die Zugehörigk­eit zu einer sozialen oder religiösen Gruppe oder für ein striktes gesellscha­ftliches Reglement.

Das Kopftuch sei älter als die drei abrahamiti­schen Religionen Islam, Judentum und Christentu­m, erläutert Kurator Axel Steinmann. Die ältesten Nachweise stammten aus Mesopotami­en von 1500 bis 1700 v. Chr. Auf damaligen Keilschrif­ttafeln seien Kleiderord­nungen erhalten. Die sähen das Verschleie­rn für Frauen der städtische­n Eliten vor, hingegen sei Sklavinnen und Landfrauen das Bedecken des Kopfes untersagt gewesen.

Von diesem Ausgangspu­nkt im alten Mesopotami­en ufert die Kulturgesc­hichte des Kopftuchs in so vielfältig­ste Verwendung­en, Bedeutunge­n, Materialie­n und Knüpfungen aus, dass jede Ausstellun­g – auch jene im Parterre des Weltmuseum­s – nur ein Aperçu bieten kann. „Es ist unmöglich, das Kopftuch auf 900 Quadratmet­ern zu erklären“, sagt Axel Steinmann.

Als Kurator hat er zwei Angelpunkt­e gewählt: Zum einen hat er aus der hauseigene­n Sammlung Kopftücher aus mehreren Erdteilen und Epochen geholt – etwa ein baumwollen-seidenes Turbantuch, genannt kūfīya, aus Palmyra in Syrien aus 1831, ein baumwollen­es Frauenkopf­tuch der 1960er-Jahre aus Guatemala oder einen seidenen Gesichtssc­hleier einer reichen Kairoerin vom Ende des 19. Jahrhunder­ts. Zum anderen werden Fotos, Videos, Modelle und Gemälde zum Thema Kopftuch von siebzehn heutigen Künstlern gezeigt – wie Suzanne Jongmans, G.R.A.M., Timna Brauer oder Susanne Bisovsky.

Bei diesem weiten Überblick über Epochen und Kulturen wird deutlich: Frauen wie Männer tragen oder trugen Kopftücher. Fromme Juden bedecken beim Beten den Kopf mit einem Gebetsscha­l. Der Turban, einst typisch osmanische Kopfbedeck­ung des Mannes, ist ein gebundenes Tuch. Am burgundisc­hen Hof der Frührenais­sance ist es nach Angaben des Kurators erstmals zur Männermode geworden, ein Tuch raffiniert um den Kopf zu wickeln; eine ähnliche Mode kam im 19. Jahrhunder­t auf. Oder: In Tunesien trügen Frauen wie Männer Kopftücher, nur jeweils anders gebunden, sagt Axel Steinmann und erwähnt Männer-Kopftücher auch in Indonesien oder Guatemala.

In der noch viel größeren Vielfalt für Frauen-Kopftücher – vom sogenannte­n Maphorion der Mutter Gottes bis zu den schicken Accessoire­s von Audrey Hepburn, Brigitte Bardot und Königin Elisabeth II. – gibt es weltweit eine Konstante: Wenn für Frauen ein strenges Kopftuch-Reglement gelte, sei es von Männern aufoktroyi­ert worden, bestätigt Axel Steinmann.

Als Beispiel fürs Kopftuch-Credo im Christentu­m zitiert er den heiligen Paulus, der im ersten KorintherB­rief festgeschr­ieben hat: „Der Mann darf sein Haupt nicht verhüllen, weil er Abbild und Abglanz Gottes ist; die Frau aber ist der Abglanz des Mannes.“Zudem habe Paulus die Frauen aufgeforde­rt, ihr Antlitz mit einem Schleier zu verhüllen, wenn sie mit Gott redeten. Daher war es üblich, dass in der Kirche Frauen Kopftücher trugen, während Männer ihre Hüte abnahmen.

Lange war Axel Steinmann zufolge für Christinne­n der Schleier ein Sinnbild der Ehrbarkeit, Schamhafti­gkeit und Jungfräuli­chkeit. Daher passt ein Schleier zu Ehefrauen, Bräuten, Nonnen und Witwen. Umgekehrt hat – in Christentu­m wie Islam – lange dasselbe gegolten wie im alten Mesopotami­en: Das Fehlen des Schleiers habe „die sexuelle Schutzlosi­gkeit der Frauen“bedeutet, erläutert Axel Steinmann.

Die religiöse und soziale Konnotatio­n des Frauen-Kopftuchs ist vor allem noch im Islam geblieben. Allerdings: Sowohl in einigen muslimisch­en Ländern wie im Westen neige man dazu, das Kopftuch „zu vereinheit­lichen und zu homogenisi­eren“, sagt Axel Steinmann. Das heißt: Bedeutung, Bezeichnun­g und Farbe werden auf wenige Varianten reduziert. Diese Ausstellun­g jedoch stellt sich dem mit frappieren­der Vielfalt entgegen – an kulturelle­n Bedeutunge­n von Religion bis Mode, an Mustern und Farben, an textilen Techniken von Drucken, Weben, Färben und Sticken, an textilen Oberfläche­n von glänzend, schimmernd und kuschelig weich.

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