Der Druck auf Saudi-Arabien nimmt zu
Die Rednerliste für einen großen Wirtschaftsgipfel in Riad schrumpft.
Nach der Tötung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi steigt der politische und wirtschaftliche Druck auf SaudiArabien. Immer mehr Politiker und Unternehmer sagen ihre Teilnahme an einer Wirtschaftskonferenz ab, die am Dienstag in Riad beginnt. Die Rednerliste ist von 150 auf 120 geschrumpft. Neben US-Finanzminister Steven Mnuchin und der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, sagten der US-Autobauer Ford, die US-Bank JP Morgan und der Fahrdienstvermittler Uber ihre Teilnahme an der Konferenz ab, bei der es um Investitionen in Saudi-Arabien geht. Detto bleiben die Nachrichtenagentur Bloomberg, der US-Fernsehsender CNN und die „Financial Times“fern. Australien erklärte, eine Teilnahme sei „nicht länger angemessen“. In Deutschland wird der Ruf laut, die Waffenlieferungen an Saudi-Arabien zu stoppen.
Saudi-Arabien hatte am Samstag unter massivem internationalen Druck zugegeben, dass der vermisste Khashoggi Anfang Oktober im Konsulat des Königreichs in Istanbul getötet wurde. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft in Riad führte eine „Schlägerei“im Konsulat zum Tod des Journalisten. Weltweit reagierten Regierungen skeptisch auf die saudi-arabische Darstellung und forderten weitere Untersuchungen.
Wie wird Donald Trump auf das Massaker reagieren, das im saudi-arabischen Generalkonsulat von Istanbul am Journalisten Jamal Khashoggi mutmaßlich verübt wurde? Sind die diesbezüglichen Aktionen des US-Präsidenten zu zurückhaltend, zu zögerlich, gar „peinlich“, wie jüngst zu lesen stand? Warum wurden noch keine Sanktionen gegen das Regime in Riad verhängt? Hat Trumps Familie am Ende geschäftliche Interessen mit der fundamentalistischen Wüstendespotie?
Lauter gute Fragen, die in den vergangenen Tagen die Spalten der europäischen Blätter gefüllt haben. Nur fällt auf, dass sie immer nur in die eine Richtung gestellt werden. Nämlich in Richtung Donald Trump. Was eigentlich Europa, was die EU, was Österreich als Reaktion auf die schandbaren, offenkundig von höchster Stelle in Riad gesteuerten Vorgänge im saudi-arabischen Konsulat von Istanbul zu unternehmen gedenke, steht nicht auf der Agenda der kritischen Fragesteller. Auch der Umstand, dass Saudi-Arabien einen blutigen Krieg im benachbarten Jemen führt, wird hierzulande mit Vorliebe ausgeblendet. Europa duckt sich, scheint’s, wieder einmal weg und überlässt den USA die Rolle des Weltpolizisten, und wehe, die US-Regierung wird dieser Erwartungshaltung nicht gerecht. Dann hagelt es Kritik an Trump und seinen geschäftlichen Interessen.
Kann es sein, dass auch Europa geschäftliche Interessen mit Saudi-Arabien hat, die jene der Familie Trump um ein Vielfaches übersteigen? „Trotz der Beteiligung Saudi-Arabiens am Jemen-Krieg war der Wüstenstaat in diesem Jahr bisher der zweitbeste Kunde der deutschen Rüstungsindustrie“, entnehmen wir einer aktuellen Agenturmeldung. Und weiter im Text: „Bis zum 30. September erteilte die deutsche Regierung Exportgenehmigungen im Wert von 416,4 Millionen Euro für das Königreich, das derzeit wegen des Verschwindens des Journalisten Jamal Khashoggi unter massivem internationalem Druck steht.“Eine hübsche Summe, die vielleicht erklärt, warum die führende Wirtschaftsmacht Europas bei allfälligen Sanktionen gegen die Herrscher in Riad nicht an erster Stelle stehen will.
Auch Österreich will das nicht. Die entsprechende Informationsseite der Wirtschaftskammer Österreich tut, als wäre nichts geschehen. „Angesichts wieder auf relativ hohem Niveau befindlicher Erdölpreise erwartet man nach zwei wirtschaftlich schwierigen Jahren wieder ein leichtes Ansteigen des BIP“, kann man da zum Thema Saudi-Arabien hoffnungsfroh lesen. Österreichs Wirtschaft hat im vergangenen Jahr immerhin Waren im Wert von 368 Mill. Euro in das Wüstenreich geliefert, wenngleich mit seit 2015 stark sinkender Tendenz.
Sieht man vom Umstand ab, dass etliche europäische Wirtschaftsgrößen ihre Teilnahme an einer geplanten Investorenkonferenz in Riad abgesagt haben, besteht die Reaktion Europas auf die mutmaßliche Ermordung Jamal Khashoggis durch saudi-arabische Unsicherheitskräfte aus dröhnendem Schweigen. Nun kann man natürlich einwenden, dass scharfe Reaktionen gegen das Regime von Riad fehl am Platze sind, solange nicht die Schuld der dortigen Machthaber restlos erwiesen ist. Dem stehen zwei Argumente entgegen. Erstens wird dieser Fall möglicherweise nie zu hundert Prozent aufgeklärt werden, solange die Behörden in Riad nicht kooperieren, und die werden sich hüten. Und zweitens reichte der EU in anderen Fällen durchaus der bloße Augenschein, um weitreichende Konsequenzen zu ziehen. Als der ehemalige russische Spion Sergej Skripal im englischen Salisbury einem Giftanschlag zum Opfer fiel, nützten sämtliche russischen Unschuldsbeteuerungen nichts. Etliche europäische Länder warfen sogleich russische Diplomaten aus dem Land, es kam zu einer Verschärfung der Russland-Sanktionen.
Und was ist mit der üblen Verstrickung der saudi-arabischen Regierung? Immerhin: „Wir erwarten volle Transparenz und Aufklärung“, sagt Sebastian Kurz in seiner Eigenschaft als Bundeskanzler des EU-Vorsitzlandes. Über mögliche Sanktionen habe es aber noch „keine Debatte“gegeben.
Kann ja noch werden.