Spannung liegt in der Luft
Ab wann dürfen Heranwachsende einen Film sehen? Die chemische Konzentration in der Luft gibt objektive Hinweise, für welches Alter eine Produktion zugelassen werden sollte.
WIEN. Lange leere Gänge in einem abgelegenen Hotel in den Bergen Colorados, ein verrückter Hausmeister, eine Axt und albtraumhafte Szenen. Der Film „Shining“zählt zu den Kult-Klassikern unter den Horrorfilmen: Die Spannung im Kinosaal steigt zuverlässig. Man kann sie direkt spüren. Chemiker können sie sogar messen.
Für die Altersfreigabe von Filmen gibt es jetzt ein messbares Kriterium. Wie eine Gruppe von Wissenschaftern des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz festgestellt hat, lässt sich aus der Isopren-Konzentration in der Luft des Kinosaals ablesen, wie die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) einen Film klassifiziert hat. Menschen geben offenbar umso mehr Isopren ab, je nervöser und angespannter sie sind. Daraus lässt sich ableiten, wie belastend ein Film für Kinder und Jugendliche sein kann.
Isopren ist ein Kohlenwasserstoff und entsteht beim Stoffwechsel. Es wird im Muskelgewebe gespeichert. Wenn wir uns bewegen, wird es über den Blutkreislauf und die Atmung, aber auch über die Haut freigesetzt. „Offenbar rutschen wir im Kinosessel unwillkürlich hin und her oder spannen Muskeln an, wenn wir nervös und aufgeregt sind“, erklärt Jonathan Williams vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Wie buchstäblich angespannt das Publikum einen Film verfolgt, liefert wiederum ein gutes Indiz dafür, wie belastend der Streifen auf Kinder und Jugendliche wirken würde.
Ab welchem Alter Kinder einen Kinofilm anschauen dürfen, beruht bisher auf recht subjektiven Urteilen einer Jury. Meist entscheidet ein Gremium der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft über die Altersfreigabe, nachdem es die Inhalte eines Films sorgfältig geprüft hat. Einige Filme wie „Der König der Löwen“sind für jedes Alter freigegeben, andere wie „Harry Potter“, „Star Wars“oder „Dracula“eignen sich erst für Zuschauer ab sechs, zwölf, 16 oder 18 Jahren.
Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz haben nun eine Methode entwickelt, mit der sich auch relativ objektiv bewerten lässt, ab welchem Alter Kinder und Jugendliche einen Film schadlos schauen können.
Dafür haben die Forscher bei 135 Filmvorführungen elf verschiedener Filme die Luftzusammensetzung im Kinosaal und dabei auch die Konzentration flüchtiger organischer Verbindungen, kurz VOC für Volatile Organic Compounds, gemessen. Beteiligt waren dabei insgesamt über 13.000 Zuschauer. Das Ergebnis: Die Isopren-Werte spiegelten für eine Vielzahl von Filmgenres und Altersgruppen zuverlässig wider, für welches Alter ein Film freigegeben ist. „Isopren scheint ein gutes Maß für die Anspannung einer Gruppe zu sein“, sagt Williams. „Unser Ansatz kann also objektive Hinweise geben, wie Filme klassifiziert werden sollten.“
Wenn die neue Methode bei einem repräsentativ zusammengesetzten Publikum angewendet würde, könnte sie in umstrittenen Fällen helfen zu entscheiden, ab welchem Alter ein Film freigegeben wird. Zudem können die Messungen auch Aufschluss darüber geben, wie sich die Reaktionen der Zuschauer und die Maßstäbe für die Altersfreigabe im Laufe der Zeit verändern.