Hier glänzt die französische Spätromantik
Der emsig produzierende Opernkomponist Jules Massenet ist in legendären und neuen Aufnahmen wiederzuentdecken.
34 Opern hat Jules Massenet (1842–1912) zwischen 1865 und seinem Tod komponiert, manches davon blieb unvollendet, manches unaufgeführt, drei Werke gelten als verloren, drei Werke erblickten erst posthum das Licht der Opernbühne. Der gültige Erstling (von 1867) war die Opéra comique „La grand’tante“.
Massenet bediente also mit produktiver Verve und stilistischer Geschmeidigkeit die verschiedensten Genres, von der Operette bis zur Grand opéra, schwamm auf beachtlichen Wellen des Erfolgs, die ihm weltweite Anerkennung brachten und ihn auch zu einer „Vaterfigur“der französischen Oper im Übergang von der Spätromantik und dem Glanz der Belle Époque in die Neuzeit werden ließen. Die Versatilität seiner Schreibweise(n), die sich gleichwohl stets durch feine Sinnlichkeit und Raffinesse des Melodischen auszeichnen, welches Element wiederum eng der französischen Sprache verpflichtet ist, brachte ihm Verehrer wie Kritiker ein – und unter anderem das schöne Bonmot: „Von diesem Massenet is a Masse net von Massenet.“
Seine auf der vollständigen Werkliste an 14. Stelle rangierende, aus 1884 stammende „Manon“, eine Spätgeburt der Gattung der Opéra comique mit gesprochenen Passagen und melodramatischen Elementen, wird seit Sonntag im Salzburger Landestheater aufgeführt. Nur eine Position davor steht aus demselben Jahr das große heroische Operntableau der „Hérodiade“(der Stoff von Salome und Johannes dem Täufer, den Richard Strauss 1905 zur Opernikone am Beginn der Moderne des 20. Jahrhunderts machen sollte) – und ist so gänzlich anders geartet wie die vergleichsweise zierliche „Manon“.
Von dieser Vielfalt des Opernschaffens gibt eine 16 CDs umfassende Kassette mit sieben Stücken Kunde, die aus den legendären Archiven von EMI nun bei Erato (Warner) neu gesammelt aufgelegt wurde. Darunter befinden sich Klassiker der Schallplattengeschichte wie „Manon“(1955) und „Werther“(1969) mit Victoria de los Ángeles, Nicolai Gedda u. a., als jüngstes Dokument die prachtvolle „Hérodiade“von 1994 mit Cheryl Studer, Ben Heppner, Thomas Hampson und José van Dam, Massenets später „Don Quichotte“mit José van Dam, Teresa Berganza und Alain Fondary, aber auch besondere Raritäten und veritable Fundstücke: die frisch geputzte fünfaktige Pièce lyrique „Sapho“und das „Mirakel“in drei Akten „Le Jongleur de NotreDame“, Letzteres aus dem Uraufführungsort, der Opéra de MonteCarlo.
Alle Aufnahmen (mit Ausnahme der problematischen „Thais“unter Lorin Maazel) zeichnet ein elegantes französisches Idiom aus, sozusagen „Originalklang“der Spätromantik, mit dem sich der Kontinent Massenet stilsicher vermessen lässt.
Zusätzlicher Hinweis: Pressfrisch ist soeben die Einspielung der zehn Jahre nach „Manon“entstandenen Episode lyrique „La Navarraise“auf den Markt gekommen: mit Roberto Alagna und Alexandra Kurczak partnerschaftlich starbesetzt.