Europas kleine Verhältnisse
Die Spritpreise steigen seit Monaten. Es gibt Logistikprobleme und Ausfälle bei Raffinerien.
Ob Platon, Michelangelo oder Goethe – Europa kann auf eine stolze geistige und kulturelle Vergangenheit zurückblicken. Interessant ist, dass alle drei Genannten aus kleinen Verhältnissen stammten, politisch gesehen: Plato aus dem griechischen Stadtstaat Athen, Michelangelo aus der Republik Florenz, und Goethe wurde im kleinen Herzogtum Weimar groß. Kleinstaaterei – im antiken Griechenland ebenso wie in der Toskana der Renaissance und im Heiligen Römischen Reich – bot immer schon ein günstiges Klima für Geist und Kultur, da sie zum Wettbewerb anspornt und eine fruchtbare Vielfalt erzeugt. Europa sollte die Vorteile kleiner Verhältnisse vielleicht nicht ganz vergessen.
Die Preise für Benzin und Diesel waren in der jüngeren Vergangenheit die Preistreiber Nummer eins in Österreich. Monat für Monat kletterten die Preise im Jahresabstand praktisch um zweistellige Prozentsätze nach oben, im September zum Beispiel waren es fast 14 Prozent und Treibstoffe waren nach Berechnungen der Statistik Austria für ein Fünftel des gesamten Preisauftriebs von zuletzt zwei Prozent verantwortlich. Tanken war zuletzt vor vier Jahren so teuer wie heute – im Oktober 2014.
Parallel dazu hat sich der Preis für Diesel, der in Österreich traditionell um einige Cent pro Liter weniger kostet als Superbenzin und auch steuerlich bevorzugt ist, zuletzt immer stärker an den Benzinpreis angenähert. In den vergangenen Tagen gab es an manchen Tankstellen nicht nur im Raum Salzburg sogar einen Gleichstand. Geht die Entwicklung so weiter, wird Diesel erstmals nach sechs Jahren bald wieder teurer sein als Benzin. Zuvor war das 2011 und 2008 der Fall. Im aktuellen Österreich-Schnitt kommt Diesel mit 1,324 Euro pro Liter nur um weniger als einen Cent günstiger als Superbenzin (95 Ok- tan) mit 1,33 Euro, erklärt der Fachverband der Mineralölindustrie. Vertreter der Mineralölhändler sehen mehrere Faktoren, die in der aktuellen Lage zusammenkommen. Großen Einfluss hat auch auf die Versorgung mit fossiler Energie das Wetter. Denn wegen der monatelangen Trockenheit führen auch die großen Flüsse Rhein und Donau Niedrigwasser. Daher können Frachtschiffe nicht die volle Beladung aufnehmen, um nicht auf Grund zu laufen. Über den Rhein werden weite Teile Deutschlands, der Schweiz und Österreichs mit Treibstoffen versorgt. Dort dürften manche Schiffe nur ein Drittel der üblichen Ladung transportieren, erklärte die Deutsche TransportGenossenschaft Binnenschifffahrt der dpa. Die Preise je beladener Tonne hätten sich etwa vervierfacht, durch die hohe Nachfrage nach zusätzlichen Frachtern.
Christoph Capek, Geschäftsführer des Fachverbandes der Mineralölindustrie, sagt: „Es sind einige Umstände zusammengefallen. Wir haben aber hauptsächlich ein Logistikproblem.“So sei die Umstellung von Schiffen auf Züge natürlich kostenintensiver. Bei den Preisen habe das den Vorteil des Diesels „aufgesogen“. Inklusive Mehrwertsteuer ist Diesel in Österreich pro Liter gegenüber Benzin um 10,2 Cent (8,5 Cent weniger Mineralölsteuer, dazu kommen noch 20 Prozent Mehrwertsteuer) begünstigt.
Der Salzburger Mineralölhändler Franz Leikermoser weist auf einen weiteren Faktor hin: Seit der Explosion in der Bayernoil-Raffinerie Vohburg nahe Ingolstadt sei die Versorgung noch schwieriger. „Damit fällt ein wichtiger Versorger für Westösterreich aus.“Bei der gewaltigen Detonation am 1. September waren mehr als 100 Häuser in der Umgebung beschädigt worden, zum Glück gab es nur zehn Verletzte. Die Produktion soll bis Mai 2019 stillstehen. Doch auch die Raffinerie in Gelsenkirchen (Ruhrgebiet), eine der größten Deutschlands, steht derzeit – allerdings wegen einer planmäßigen Revision.
„Die Situation ist nicht einfach, aber wir können unsere Kunden versorgen“, sagt Leikermoser. Für Panik bestehe kein Anlass. Er räumt allerdings ein, dass die Speditionsbranche die Dieselprobleme stärker spüre als der private Autofahrer. Eine normal übliche Belieferung am Tag nach der Bestellung sei derzeit nicht immer sichergestellt. „Der Spotmarkt (für den kurzfristigen Handel, Anm.) ist ins Stocken geraten“, erklärt Leikermoser.
Das zeigt auch eine Beschwerde der Tiroler Frächterbranche über Lieferschwierigkeiten bei Diesel. „In nächster Zeit ist mit keiner Entspannung am Spotmarkt zu rechnen“, schrieb Fachgruppenobmann Gottfried Strobl den Mitgliedern. Die OMV habe sich nun wenigstens bereit erklärt, die OMV Card zu Sonderkonditionen anzubieten.
Auch Bernd Zierhut, Geschäftsführer der Firma Doppler aus Wels, dem größten privaten Tankstellenbetreiber Österreichs, sagt: „Wir haben eine Produkte-Knappheit. Der Ausfall von Vohburg treibt die Preise bei uns dramatisch an. International hingegen befindet sich der Diesel auf dem Niveau von vor einem halben Jahr.“Bis Ende November rechnet Zierhut nicht mit einer Entspannung. Am stärksten betroffen sind die Käufer von Heizöl (das technisch gleich ist wie Diesel, nur ohne rote Farbe). Eine 3000-LiterTankfüllung kostete heuer im August um 480 Euro oder ein Viertel mehr als im Vorjahr.
Auch der ÖAMTC verfolgt das Thema genau. Die Annäherung von Diesel und Benzin sei im Herbst häufiger zu beobachten, denn im Sommer gebe es wegen des Reiseverkehrs immer eine höhere Nachfrage bei Benzin, sagt Verkehrswirtschaftsexperte Martin Grasslober. Der Preis der Fertigprodukte werde stark von Produzenten beeinflusst und weniger von der Börse.
„Es gibt eine Knappheit, aber es besteht für Kunden kein Grund zur Panik.“Franz Leikermoser, Mineralölhandel