Warum Latinos ihre Heimat verlassen
Die Karawane von Migranten, die sich derzeit auf ihrem Weg in die USA in Mexiko befindet, ist nur ein kleiner Teil des Problems. Millionen Menschen fliehen in Lateinamerika vor Gewalt und Unterdrückung.
Eine Karawane verzweifelter und entkräfteter Menschen zieht gerade durch Mexiko. Frauen mit Babys im Arm, ausgemergelte Männer, sogar unbegleitete Kinder sind darunter. Honduraner, Guatemalteken, Salvadorianer und auch ein paar Nicaraguaner flüchten vor der Situation in ihren Ländern. Vor Arbeitslosigkeit, vor Banden, die Jugendliche rekrutieren, Schutzgelder erpressen und töten. Und die Menschen fliehen wie in Nicaragua auch vor einem repressiven Regime, das Gegner verfolgt.
200.000 bis 300.000 Honduraner, Salvadorianer, Nicaraguaner und Guatemalteken verlassen nach Schätzungen von Hilfsorganisationen jedes Jahr ihre Heimat. 700 Menschen also schnüren täglich ihr Bündel und machen sich auf den gefährlichen Weg gegen Norden. Die rund 3000 Zentralamerikaner, die derzeit durch Mexiko ziehen, sind gerade einmal so viele Flüchtlinge wie sonst in einer Woche den Weg in die USA auf sich nehmen. Nur wandern sie dieses Mal nicht versteckt in kleinen Gruppen, sondern marschieren in der Karawane.
In Lateinamerika gab es immer Migration, in den vergangenen zwei Jahren wurde sie aber deutlich intensiver, zwei große Bewegungen sind hinzugekommen. Seit einem halben Jahr verlassen Nicaraguaner in Scharen ihr Land in Richtung Costa Rica, das Nachbarland im Süden. Sie fliehen vor der Verfolgung des linksautoritären Präsidenten Daniel Ortega. Und dann sind da die Venezolaner, die überall hingehen, wo man sie noch haben will. Kolumbien, Chile, Brasilien, Argentinien, Peru, Ecuador und Panama gehören zu den favorisierten Zielen derjenigen, die der Hoffnungslosigkeit des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“von Nicolás Maduro entkommen wollen. Die Ursachen für die Fluchtbewegungen sind meist typisch lateinamerikanisch: korrupte und unfähige Regierungen, der Aufstieg des organisierten Verbrechens und die größte Kluft zwischen Arm und Reich weltweit. Hinzu kommt, dass Lateinamerika das gesamte Kokain für die Welt und sehr viel Heroin und Marihuana produziert und so illegale Geschäfte und in der Folge Gewalt und Vertreibungen befeuert.
Das Groteske an dieser Situation: Formell herrscht erstmals seit Jahrzehnten fast überall Frieden in Lateinamerika. Keine Revolution, keine Rebellen, keine Aufstände. Aber nie waren zwischen Rio Grande und Feuerland Freiheits- und Persönlichkeitsrechte, ökonomische und soziale Errungenschaften so sehr in Gefahr wie jetzt.
Besserung ist nicht in Sicht. Die Autokraten in Caracas und Managua sitzen fest im Sattel, auch weil neue geopolitische Player in Lateinamerika, wie Russland und China, sie am Leben halten. Und die fast sichere Wahl des Rechtsextremen Jair Bolsonaro zum Präsidenten wird auch in Brasilien zu einer Migrationswelle führen. Er droht Linken offen mit Exil oder Gefängnis.
Die massive Migration in Lateinamerika wird also weitergehen. Ihr kann man vorerst nur mit humanitären Mitteln begegnen oder mit Ideen wie der von Mexikos künftigem linken Präsidenten López Obrador: Er will 30 Milliarden Dollar investieren, um vor Ort die Fluchtursachen zu bekämpfen.