Entmachtung der Arbeitnehmer: „Das Land gerät aus dem Gleichgewicht“
Stammt die Kritik an der Sozialversicherungsreform ausschließlich von „Funktionären“, die verdrossen sind, weil sie „ihre Machtposition verlieren“? Diese Vermutung drückte am Mittwoch nach dem Ministerrat Bundeskanzler Sebastian Kurz aus. Christoph Klein, der Direktor der Arbeiterkammer, widerspricht ganz entschieden. Und legte in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten eine Dokumentation vor, die Folgendes belegen soll: Arbeitnehmervertreter werden von der Bundesregierung systematisch aus Entscheidungsgremien verdrängt, Wirtschaftsvertreter hingegen erleben einen Machtzuwachs. „Das österreichische Erfolgsrezept besteht darin, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichberechtigt am Tisch sitzen. Wer dieses System beseitigt, der bringt unser Land aus dem Gleichgewicht“, warnte der AK-Direktor. Am markantesten sei die Entmachtung der Arbeitnehmer in der Krankenkasse, wo künftig 155.000 Unternehmer ebenso viele Vertreter in den Gremien haben wie sieben Millionen Versicherte. Das sei vor allem deshalb fragwürdig, weil die Unternehmen eine eigene Sozialversicherung hätten. Weshalb sie an einem Ausbau der Leistungen in der Arbeitnehmer-Krankenkasse gar kein Interesse hätten, sondern im Gegenteil bemüht seien, die Beitragszahlungen niedrig zu halten. Völlig unverständlich ist für AK-Direktor Klein, dass in der Beamtenversicherung die Machtverschiebung in Richtung Arbeitgeber nicht stattfinde. „Sind Beamte vertrauenswürdiger als sonstige Arbeitnehmer? Oder spielen bei der Besserstellung der Beamten parteipolitische Gründe eine Rolle?“, fragt Klein rhetorisch. Auch aus dem Insolvenzentgeltsicherungsfonds sei kürzlich der Arbeitnehmervertreter von der Bundesregierung abberufen worden, kritisierte Klein, jetzt seien dort nur noch Wirtschaft und Regierung vertreten. Ebenso wurde der Vertreter der Arbeitnehmer aus dem Generalrat der Nationalbank entfernt – und das, obwohl die Arbeitnehmer von allen währungspolitischen Entscheidungen direkt betroffen seien. Und sogar in der Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte kam es zu einer Machtverschiebung zulasten der Arbeitnehmer. Das blaue Verkehrsministerium hat das von der Arbeiterkammer entsandte Aufsichtsratsmitglied vorzeitig abberufen. Auch von neu geschaffenen Institutionen bleibt die AK ausgeschlossen. Die von der Regierung gegründete Digitalisierungsagentur weist in ihrem Beirat nur Wissenschafter und Unternehmer auf, aber keinen Arbeitnehmervertreter. Obwohl die AK große Expertise auf diesem Feld habe, wie Klein versichert.