Geschichte Die lebt
Bald nach dem Nationalfeiertag bekommt Österreich ein Haus der Geschichte. „Jetzt sehen wir die Chance, nach unserer langen Gründungsgeschichte ein Museum des 21. Jahrhunderts aufzubauen“, sagt Direktorin Monika Sommer.
Am 10. November wird auf dem Wiener Heldenplatz doppelt gefeiert: der 100. Geburtstag der Republik und die Eröffnung des von Monika Sommer geleiteten Hauses der Geschichte. Damit endet eine lange Gründung, doch ist das Ergebnis nur ein erstes Fundament. SN: Wie lang reicht Ihre Gründungsgeschichte zurück? Monika Sommer: Karl Renner hat 1946 ein Museum über die Geschichte der Republik angeregt. Dies bezeugt das Bemühen am Beginn der Zweiten Republik, eine österreichische Identität aufzubauen. In den 1980er-Jahren gab es neue Diskussionen darüber – vor allem unter dem Einfluss der erfolgreichen Ausstellungen im Künstlerhaus in Wien, wie „Türken vor Wien“oder „Traum und Wirklichkeit“. Hinzu kamen Debatten über die Gründung des deutschen Hauses der Geschichte. In Deutschland hat man da nicht lang gestritten, sondern es 1990 beschlossen – samt Neubau und Ankaufsbudget. Bei uns hat das länger gedauert. Aber jetzt haben wir in einer unglaubli- chen Rekordzeit – ich wurde ja erst im Februar 2017 bestellt – die Fundamente gelegt. Daran muss jetzt weitergebaut werden, damit das Haus der Geschichte internationalen Standards gerecht wird. SN: Was meinen Sie mit Fundament? Sie eröffnen doch schon ein Museum. Wir können zur Eröffnung einiges vorweisen: Wir sind ein versiertes Team. Wir haben begonnen, eine zeitgeschichtliche Sammlung von österreichweiter Relevanz anzulegen. Wir haben eine erste Ausstellung. Wir sind hochmotiviert, in diesem Sinne weiterzuarbeiten. Doch dafür bräuchten wir 2019 mehr als ein provisorisches Budget und mittelfristig – für Ausstellung, Sammlung und Forschung – etwa vier Mal so viel Platz wie jetzt. SN: Wie viele Objekte haben Sie bisher? Etwa 2000 Stück, wir konnten zwei einander ergänzende Privatsammlungen ankaufen. Uns werden auch immer wieder Schenkungen angeboten – von Erhard Busek etwa ein Holzmodell für das Wiener Museumsquartier, das haben wir mit Handkuss genommen. Aus Deutschland haben wir das Album eines elfjährigen Buben bekommen, der darin den „Anschluss“an NSDeutschland dokumentiert hat; er hat Zeitungsausschnitte eingeklebt und Kommentare geschrieben, aus denen die Begeisterung eines Elfjährigen spricht. SN: Was davon zeigen Sie in der ersten Ausstellung? Diejenigen Objekte, die in die sieben Themenschwerpunkte fallen. SN: Welche Schwerpunkte? Zum „Hoch der Republik“möchten wir zeigen, aus welchen Ängsten, Hoffnungen und Umständen sich die Umbrüche von 1918 bis 1920/21 entwickelt haben. In „Wunder Wirtschaft?“geht es von der Not nach dem Ersten Weltkrieg über das Wirtschaftswunder der Zweiten Republik bis zur Europäischen Union und die Zusammenhänge von Wirtschaft und Demokratie. In „Diktatur, NS-Terror, Erinnerung“erörtern wir die Wege in die beiden unterschiedlichen Diktaturen – Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur und Nationalsozialismus.
Bei „Das ist Österreich!?“geht es um das Österreich-Bewusstsein, wie es entstanden ist und woran es sich zeigt. Eine weitere Frage ist „Grenzen verändern?“Hier beleuchten wir, wie Grenzen entstanden sind und wie sich der Umgang mit ihnen ändert. In „Gleiche Rechte?“untersuchen wir die auf 1918/20 zurückgehende Verfassungsbestimmungen, derzufolge jeder Staatsbürger gleiche Rechte hat. Für wen ist das im 20. Jahrhundert nicht selbstverständlich gewesen?
Schließlich zeigen wir im einzigen chronologischen Themenblock „Macht Bilder!“eine 60 Meter lange spielerische Installation, die sich der Frage des Umgangs mit Bildern widmet. Das Bildermachen hat sich ja demokratisiert wie nie zuvor, jeder von uns macht viele Fotos pro Tag. Wir werden fragen, wie wir selbst und wie die Geschichtswissenschaft mit Bildern umgeht. SN: Was sind die nächsten Vorhaben? Wichtig ist: Dieses Museum braucht eine Sammlung. Das ist viel Arbeit, weil man Beziehungen zwischen Sammlungsstücken herstellen und auch die dazugehörigen Geschichten erforschen und festhalten muss. Daraus ergeben sich Programmatiken für künftige Sonderausstellungen. Dafür brauchen wir finanzielle und personelle Ressourcen. SN: Was tun Sie für die sieben Millionen Österreicher außerhalb Wiens? Wir würden gern mit den Landesmuseen gemeinsame Projekte entwickeln – etwa eine Sonderausstellung in einem Bundesland. Das erfordert aber Vor- und Entwicklungsarbeit mit den Landesmuseen. Dafür war bislang noch keine Zeit. Zudem haben wir eine Webplattform konzipiert, die dazu anregt, an diesem Museum teilzunehmen, ohne physisch hierher an den Heldenplatz zu kommen. Man kann zum Beispiel Bilder und Erfahrungen zu bestimmten Themen hochladen. SN: Welche Themen? Wir fangen an mit „Häuselbauen“, „Schöne Landschaft“und – topaktuell – Hochzeitseinladungen von Verpartnerungen oder gleichgeschlechtlichen Ehen. Das ist eine neue Entwicklung, auf die wir reagieren möchten. Die Originale bleiben bei den Menschen zu Hause, wir sammeln nur Digitalisate.
Für unsere Eröffnungsausstellung gibt es vier Schnittstellen mit dieser Webplattform. So können wir die hochgeladenen Bilder in die Ausstellung einspeisen. Wenn Sie etwa ein Bild zu „Schöne Landschaft“hochladen, wird das in der Ausstellung zu sehen sein, und da wiederum gibt es Medien-Stationen, wo man Votings machen kann. SN: Ein Geschichtsmuseum hat mit Dokumenten, Fotos oder Filmen viel Flachware. Könnten Sie Ihr Manko an Ausstellungsfläche über digitale Themenpakete wettmachen? Beides ist für ein heutiges Museum wichtig – der digitale Raum und der Museumsraum. Eine Ausstellung braucht unbedingt den physischen Raum. Ich bin sehr überzeugt von der Aura des Originals. Wir wollen weiterhin klassisch sammeln, also dreidimensionale Objekte, aber diese ergänzen wir um dieses neue digitale Sammeln. Und nur hier im Museum gibt es unmittelbare soziale Kontakte. Dass wir uns als Diskussionsforum verstehen, unterscheidet uns dramatisch von früheren Geschichtsmuseen. Wir sagen nicht: So war es und nicht anders, sondern wir machen Angebote, über Geschichte zu reflektieren. SN: Wofür steht das Haus der Geschichte? Für einen Dialog über die Vergangenheit, der von der Gegenwart ausgeht und sich an die Zukunft adressiert. Wir wollen zeigen: Die Menschen hatten immer Handlungsräume! Und wir in der Gegenwart haben die auch. Zudem steht es für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat. Daher ist ein Herzstück die Auseinandersetzung mit den beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Wir wollen vermitteln, wie schnell Demokratie und Rechtsstaat verloren gehen können. SN: Was werden so besondere Exponate sein, für die es sich auszahlt, aus Kärnten oder Vorarlberg anzureisen? Das sind einige! Das historisch älteste prominente Objekt ist der Kaiserlogen-Behang aus dem österreichischen Parlament, der von der Demokratiegeschichte der Habsburger Monarchie erzählt. Der Kaiser hat ja die demokratische Entwicklungen beargwöhnt. Er war nur zwei Mal im Parlament, bei der Gleichenfeier und der Eröffnung. Die beiden Logen, die man für ihn errichtet hat, hat er nie benutzt. Ein attraktives Objekt aus jüngster Vergangenheit ist das Kleid, das Conchita Wurst beim Song Contest getragen hat.
„Wir wollen zeigen: Die Menschen hatten immer Handlungsräume!“