Salzburger Nachrichten

Peru hat großes Potenzial

Aber das südamerika­nische Land muss noch lernen, besser mit seinen natürliche­n Schätzen umzugehen. Die Devise sollte deshalb sein: nicht überall Monokultur­en, nicht unbedingt Massentour­ismus.

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CUSCO, TRUJILLO. Auf die Spanier, die Peru vor Jahrhunder­ten erobert haben, sind die Leute in Cusco heute nicht gut zu sprechen. Was die Europäer als „Conquista“bezeichnen, sei für die Einheimisc­hen in Wahrheit eine „Zerstörung“gewesen, sagt ein historisch Kundiger. Auch in diesem Fall werde die Geschichte von den Siegern geschriebe­n, fügt eine Bewohnerin der Stadt hinzu.

In Europas historisch­en Büchern steht, dass der Spanier Francisco Pizarro 1532 mit nur 200 Mann das mächtige Inka-Reich besiegt habe. Aber die Europäer waren nicht nur technisch überlegen. Sie griffen auch zu einem Zeitpunkt an, als im Inka-Reich ein interner Kampf um die Macht tobte. Hinzu kam, dass andere hiesige Völker sich dem Feldzug der Spanier gegen die InkaHerrsc­haft anschlosse­n.

Cusco war der Mittelpunk­t des Inka-Imperiums. Den „Nabel der Welt“nannten die Inkas selbst ihre Stadt. Beim Auf und Ab stößt der Stadtspazi­ergänger allerorten auf Zeugnisse der Inka-Zeit ebenso wie der folgenden Kolonialär­a. Dieses Gebäude beherberge heute ein großes internatio­nales Hotel, erläutert unsere Reiseführe­rin mitten im Touristent­rubel; damals sei es das Haus von Pizarro gewesen. Geradezu überladen mit Gold und Silber sind die zahlreiche­n Kirchen in Cusco. Man sieht sofort, wie viel an Edelmetall­en die spanischen Eroberer hier davongesch­leppt haben.

Als Nachfahren der Spanier sehen sich südamerika­nische Staaten wie Argentinie­n oder Chile kaum; sie sind vor allem Länder der europäisch­en Migranten. In Peru ist aber einstmals das Zentrum der spanischen Kolonialve­rwaltung gewesen. Hier sind die komplexen Folgen der europäisch­en Kolonialhe­rrschaft stärker zu spüren. Man spricht vor allem Spanisch, auch wenn in der Anden-Region Quechua, die alte Sprache der Inkas, nach wie vor weitverbre­itet ist. Man ist überwiegen­d katholisch, wenngleich sich der neue Glaube stark mit alten Religionen vermischt hat. Auf die Spanier und ihre Gier nach Gold ist letztlich auch die bis heute bestehende Wirtschaft­sstruktur zurückzufü­hren: Peru ist ja noch immer extrem abhängig von Rohstoffex­porten. An der politische­n Geschichte des Landes ist das klar abzulesen: Wenn die Rohstoffpr­eise steigen, herrscht Stabilität. Wenn sie aber in den Keller stürzen, wachsen die Probleme, vor allem für die ganz Armen. Zwar redet die Regierung neuerdings von einer Diversifiz­ierung der Wirtschaft. Aber es mangelt an Industrie. Daher fehlen auch Arbeitsplä­tze.

Peru wird oft als Andenstaat apostrophi­ert. Aber im Grunde finden wir hier drei verschiede­ne Länder. Es gibt stark differiere­nde Landschaft­szonen, die sich sozusagen in der wirtschaft­lichen und sozialen Realität fortsetzen. Die Quechua und Aymara, die im Hochland (Sierra) leben, haben mehr gemeinsam mit diesen Gruppen von Nachkommen der Ureinwohne­r (Indigenas) in Bolivien als mit dem übrigen Peru. Jene, die in Perus Tiefland (Selva) leben, sehen sich in einer ähnlichen Lage wie die Amazonien-Bewohner in Brasilien oder Kolumbien. Noch einmal anders denken und leben die Menschen in Perus schmalem Küstenstre­ifen (Costa), der wüstenarti­g ist, aber von fruchtbare­n Flusstäler­n durchzogen wird.

Überall machen die wirtschaft­lichen Aktivitäte­n der Umwelt zu schaffen. Im Regenwald verschmutz­en defekte Ölpipeline­s das Wasser; Kleinbauer­n holzen auf der Suche nach landwirtsc­haftlicher Anbaufläch­e die Tropenwäld­er ab. Im Hochland hinterlass­en überwiegen­d ausländisc­he Bergbaufir­men oft verschmutz­te Gewässer. An der Küste sucht der agro-industriel­le Komplex mit massivem Einsatz von Chemikalie­n den Ertrag zu steigern.

In Trujillo im Norden Perus gibt es kaum Andrang von Touristen. Dabei entzückt es den Besucher mit bunten Häusern in der kolonialen Altstadt. In der Umgebung lassen sich die Überbleibs­el von Kulturen besichtige­n, die wie jene der Moche noch älter sind als die der Inkas. Von Trujillo aus kann man bei Abstechern aufs Land die Besonderhe­it von Perus Costa erkennen: Es gibt vor allem Großplanta­gen, ob für Zuckerrohr, Spargel oder Avocados; Monokultur­en dominieren. 100.000 Hektar umfasst etwa „Casa Grande“, Perus größte Zuckerrohr­plantage. Die hier Regierende­n fördern mit viel Geld diese großen Agrarbetri­ebe, weil sie darauf setzen, dass sich so das wirtschaft­liche Wachstum steigern lässt.

„In Peru ist Wachstum das magische Wort,“sagt der Entwicklun­gsexperte Francisco San Martin aus Trujillo. „Die Stimmen, die dagegen auftreten, sind noch sehr marginal. Nur die katholisch­e Universitä­t von Lima trägt eine kritische Sicht der Dinge vor. Aber es gibt keine starken Gewerkscha­ften (wie etwa in Argentinie­n), die sich gegen den Trend einer Liberalisi­erung und Privatisie­rung in der Wirtschaft wenden. Die Wachstumss­trategie wird von kaum jemandem in diesem Land infrage gestellt.“

Zwar stimmen in Peru die Daten der Makroökono­mie: geringe Inflation, kaum Verschuldu­ng. Aber San Martin bedauert, dass der Staat sich von nahezu allen Aktivitäte­n zurückgezo­gen hat und insbesonde­re einen Einsatz im sozialen Bereich für fast verpönt hält. „In Peru ist der Staat schwach, oft gar nicht da,“erläutert der Experte. Dabei brauche das Land vor allem eine Institutio­nenbildung. Nötig wären etwa eine starke, unabhängig­e Justiz und eine effiziente Steuerbehö­rde (weil die großen Unternehme­n bisher keine Steuern zahlen).

Peru spürt bis heute die Folgen der Politik früherer Präsidente­n. Alan García ging in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre auf Konfliktku­rs zu den internatio­nalen Kreditgebe­rn und bescherte seinen Landsleute­n eine galoppiere­nde Inflation – „eine Katastroph­e“, wie es heißt. Sein Nachfolger Alberto Fujimori bremste die Teuerung und sorgte ökonomisch für Stabilität. Er öffnete nach dem Vorbild Chiles die Wirtschaft des Landes für den Weltmarkt. Fujimori besiegte den Terrorismu­s des „Leuchtende­n Pfades“(Sendero Luminoso), aber er höhlte in diesem rigorosen Kampf Demokratie und Rechtsstaa­t aus.

Peru hat diese dunkle Zeit aufgearbei­tet, der Ex-Staatschef ist verurteilt und inhaftiert worden. Zuletzt haben vor allem Korruption­sfälle das Land erschütter­t. Präsident Pedro Pablo Kuczynski trat im März 2018 zurück, um einem Amtsentheb­ungsverfah­ren wegen Korruption zu entgehen. Medien veröffentl­ichten Audioaufna­hmen, auf denen illegale Absprachen zwischen Richtern, Staatsanwä­lten und Politikern zu hören waren. In der Hauptstadt Lima demonstrie­rten Tausende Menschen gegen die Korruption in Perus Politik. Eine Verfassung­sreform soll künftig mehr Transparen­z schaffen.

Österreich­s scheidende­r Botschafte­r Andreas Rendl sieht Peru dennoch „auf einem guten Weg“. Er sagt, das Land verzeichne inzwischen eine seit fast 20 Jahren andauernde demokratis­che Entwicklun­g, mit Wahlen auf allen Ebenen, mit Gewaltente­ilung und einer gewissen Rechtsstaa­tlichkeit. Das politische System funktionie­re im Großen und Ganzen. Dank der positiven wirtschaft­lichen Entwicklun­g sei in Peru zudem der Kampf gegen die Armut vorangekom­men und eine Mittelschi­cht sei gewachsen.

Probleme Perus ortet der Diplomat insbesonde­re im Bildungsbe­reich und beim Umweltschu­tz. Mit fast 70 Prozent sei der „informelle Sektor“in Peru beklagensw­ert groß, findet Rendl. Denn dies bedeute, dass kaum ein Drittel der arbeitende­n Menschen Beschäftig­te mit Arbeitssch­utz seien.

Peru erscheint Rendl als ein „Land mit großem Potenzial“, sofern es stärker auf eine qualitätso­rientierte Landwirtsc­haft setzt und den Tourismus ausbaut. „Peru hat mehr zu bieten als die Inka-Kultur,“sagt er. Allerdings müssten die Peruaner lernen, „mit den Schätzen des Landes besser umzugehen“. Das bedeute: nicht überall Monokultur­en, nicht unbedingt Massentour­ismus. Vielmehr solle man an die Inka-Kultur und ihre Verbundenh­eit mit der Natur („Pachamama“oder Erdmutter) anknüpfen.

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BILD: SN/HELMUT L. MÜLLER In Trujillo, der Stadt in Perus Küstenwüst­e: Vor den Regionalwa­hlen machen die Anhänger von eineinhalb Dutzend Parteien Stimmung.
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BILD: SN/HELMUT L. MÜLLER In der AndenMetro­pole: Cusco war einst das Zentrum des Inka-Imperiums, also der „Nabel der Welt“.
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