Die Viennale startet glücklich
In Cannes wurde „Glücklich wie Lazzaro“mit dem Preis für das beste Drehbuch geehrt. In Wien eröffnet der Film heute, Donnerstag, die Viennale, nächste Woche kommt er in die Kinos.
WIEN. Es ist ein magisch-realistischer, klassenkämpferischer Film einer jungen Italienerin, der die erste Viennale unter der neuen Leiterin Eva Sangiorgi heute, Donnerstag, eröffnet: „Glücklich wie Lazzaro“in der Regie von Alice Rohrwacher spielt in einem abgeschiedenen Weiler nahe Rom, wo ausbeuterische Zustände herrschen: Die Marchesa de Luna regiert mit eiserner Hand über ihr Landgut, auf dem Arbeiterinnen schuften wie Leibeigene. Im Zentrum des Films steht der junge Lazzaro, der von allen ausgenutzt wird, aber nie seine Zuversicht und Nächstenliebe verliert. „Glücklich wie Lazzaro“ist ein programmatischer Eröffnungsfilm für die Viennale, bei der zwei Wochen lang Filme und Filmschaffende aus aller Welt in Wien zu Gast sind. SN: Am Anfang dieses Films stand ja ein wahrer Fall, der in den Achtzigerjahren stattgefunden hat. Wie war das? Alice Rohrwacher: Ja, die Inspiration zu diesem Film war ein Artikel, den ich in einem Magazin gelesen habe, als ich selbst noch in der Schule war. Es war ein kleiner, wahrer Vorfall, über den wir damals in der Klasse heftig diskutiert haben. Aber es gibt viele solche kleinen Artikel, die man in der Zeitung finden und am nächsten Tag schon vergessen haben kann, in denen es darum geht, wie privilegierte Menschen von ihrer Position profitieren und andere Leute ausbeuten. Was die Marchesa de Luna da tut, wie sie ihre Macht ausnutzt, das ist in Wahrheit sehr verbreitet, ein universeller Mechanismus. Der Ausgangspunkt war also dieser Fall, der mich herausgefordert hat, eine politische Geschichte zu erzählen. Aber dann ist die Figur des Lazzaro aufgetaucht und hat den Film um diese nicht religiöse, aber doch religiöse Dimension ergänzt. SN: Inwiefern ist er aufgetaucht, wo kommt die Figur her? Wir haben uns über die universelle, auch internationale Bedeutung dieser Geschichte Gedanken gemacht, und haben gefunden, dass es da eine gewisse Leichtigkeit doch auch braucht. Wir haben uns also eine Figur überlegt, die so unschuldig ist, dass sie schon beinahe lächerlich wirkt, jemand, der so rein ist, dass er in seiner Reinheit revolutionär und radikal ist.
Er ist nicht der übliche Filmheld, der einen Entwicklungsbogen durchmacht. Er ist gut vom Anfang bis zum Ende, selbst in einer Welt, die sich brutal ändert, kann er sich nicht wandeln, und das macht die Wandlung der Welt noch deutlicher. SN: Adriano Tardiolo, der Darsteller von Lazzaro, sieht aus wie die personifizierte Unschuld, wie ein Renaissanceengel. Es ist wahr, er wirkt, als käme er aus einer anderen Ära. Adriano ist natürlich ein heutiger Jugendlicher, aber was er mit Lazzaro gemein hat, ist ein unbedingtes Vertrauen zu seinem Nächsten, und dass er immer die Wahrheit sagen will und nichts als die Wahrheit. Es ist ungewöhnlich, so jemanden zu finden. Das ist kein Film über einen Dummen oder Simpel, es ist ein Film über einen Heiligen. Die Grenze zwischen diesen beiden Kategorien ist oft haarfein. SN: Italien hat eine große Tradition darin, Armut und Klassenkampf im Kino zu erzählen. Gibt es Filme, die Sie da besonders beeinflusst haben? Über Inspiration zu sprechen ist immer schwierig, weil es viel unbeabsichtigte Inspiration auch gibt, wahrscheinlich mehr als beabsichtigt. Das Unbeabsichtigte ist hier im besten Sinne, weil gutes Kino ja Erinnerung erzeugt in uns, und oft ist uns nicht bewusst, dass das von Filmen stammt. Es gibt also bestimmt viele Vorbilder, die mir gar nicht bewusst sind, ich kann darüber also gar nicht wirklich sprechen. SN: Filme, die von Klasse und von Klassenkampf handeln, sind selten geworden. Dabei existiert der Klassenkampf immer noch. Aber unglücklicherweise haben die Reichen schon gewonnen. Dieser Krieg findet auch innerhalb der Klasse statt: Die Marchesa beutet die Bauern und die Arbeiter aus, aber die Arbeiter nutzen wiederum Lazzaro aus. Am Ende beutet jeder irgendjemanden aus, nur Lazzaro nicht. SN: Ist diese reine Güte etwas, das eher nah der Natur existiert, nicht in der Stadt? Ich glaube nicht, dass das irgendwie etwas zu tun hat mit Stadt oder Land. Ich liebe die Menschen, egal wo sie her sind, die sind alle in derselben Lage, und so sehe ich das. Das Gute ist wie eine wilde Blume, es kann in einem Feld blühen, aber auch in einer Asphaltritze. Film: