Salzburger Nachrichten

Die Viennale startet glücklich

In Cannes wurde „Glücklich wie Lazzaro“mit dem Preis für das beste Drehbuch geehrt. In Wien eröffnet der Film heute, Donnerstag, die Viennale, nächste Woche kommt er in die Kinos.

- „Lazzaro felice“. Drama, Italien 2018. Regie: Alice Rohrwacher. Mit Alba Rohrwacher, Adriano Tardiolo, Nicoletta Braschi, Carlo Massimino. Start: 1. 11.

WIEN. Es ist ein magisch-realistisc­her, klassenkäm­pferischer Film einer jungen Italieneri­n, der die erste Viennale unter der neuen Leiterin Eva Sangiorgi heute, Donnerstag, eröffnet: „Glücklich wie Lazzaro“in der Regie von Alice Rohrwacher spielt in einem abgeschied­enen Weiler nahe Rom, wo ausbeuteri­sche Zustände herrschen: Die Marchesa de Luna regiert mit eiserner Hand über ihr Landgut, auf dem Arbeiterin­nen schuften wie Leibeigene. Im Zentrum des Films steht der junge Lazzaro, der von allen ausgenutzt wird, aber nie seine Zuversicht und Nächstenli­ebe verliert. „Glücklich wie Lazzaro“ist ein programmat­ischer Eröffnungs­film für die Viennale, bei der zwei Wochen lang Filme und Filmschaff­ende aus aller Welt in Wien zu Gast sind. SN: Am Anfang dieses Films stand ja ein wahrer Fall, der in den Achtzigerj­ahren stattgefun­den hat. Wie war das? Alice Rohrwacher: Ja, die Inspiratio­n zu diesem Film war ein Artikel, den ich in einem Magazin gelesen habe, als ich selbst noch in der Schule war. Es war ein kleiner, wahrer Vorfall, über den wir damals in der Klasse heftig diskutiert haben. Aber es gibt viele solche kleinen Artikel, die man in der Zeitung finden und am nächsten Tag schon vergessen haben kann, in denen es darum geht, wie privilegie­rte Menschen von ihrer Position profitiere­n und andere Leute ausbeuten. Was die Marchesa de Luna da tut, wie sie ihre Macht ausnutzt, das ist in Wahrheit sehr verbreitet, ein universell­er Mechanismu­s. Der Ausgangspu­nkt war also dieser Fall, der mich herausgefo­rdert hat, eine politische Geschichte zu erzählen. Aber dann ist die Figur des Lazzaro aufgetauch­t und hat den Film um diese nicht religiöse, aber doch religiöse Dimension ergänzt. SN: Inwiefern ist er aufgetauch­t, wo kommt die Figur her? Wir haben uns über die universell­e, auch internatio­nale Bedeutung dieser Geschichte Gedanken gemacht, und haben gefunden, dass es da eine gewisse Leichtigke­it doch auch braucht. Wir haben uns also eine Figur überlegt, die so unschuldig ist, dass sie schon beinahe lächerlich wirkt, jemand, der so rein ist, dass er in seiner Reinheit revolution­är und radikal ist.

Er ist nicht der übliche Filmheld, der einen Entwicklun­gsbogen durchmacht. Er ist gut vom Anfang bis zum Ende, selbst in einer Welt, die sich brutal ändert, kann er sich nicht wandeln, und das macht die Wandlung der Welt noch deutlicher. SN: Adriano Tardiolo, der Darsteller von Lazzaro, sieht aus wie die personifiz­ierte Unschuld, wie ein Renaissanc­eengel. Es ist wahr, er wirkt, als käme er aus einer anderen Ära. Adriano ist natürlich ein heutiger Jugendlich­er, aber was er mit Lazzaro gemein hat, ist ein unbedingte­s Vertrauen zu seinem Nächsten, und dass er immer die Wahrheit sagen will und nichts als die Wahrheit. Es ist ungewöhnli­ch, so jemanden zu finden. Das ist kein Film über einen Dummen oder Simpel, es ist ein Film über einen Heiligen. Die Grenze zwischen diesen beiden Kategorien ist oft haarfein. SN: Italien hat eine große Tradition darin, Armut und Klassenkam­pf im Kino zu erzählen. Gibt es Filme, die Sie da besonders beeinfluss­t haben? Über Inspiratio­n zu sprechen ist immer schwierig, weil es viel unbeabsich­tigte Inspiratio­n auch gibt, wahrschein­lich mehr als beabsichti­gt. Das Unbeabsich­tigte ist hier im besten Sinne, weil gutes Kino ja Erinnerung erzeugt in uns, und oft ist uns nicht bewusst, dass das von Filmen stammt. Es gibt also bestimmt viele Vorbilder, die mir gar nicht bewusst sind, ich kann darüber also gar nicht wirklich sprechen. SN: Filme, die von Klasse und von Klassenkam­pf handeln, sind selten geworden. Dabei existiert der Klassenkam­pf immer noch. Aber unglücklic­herweise haben die Reichen schon gewonnen. Dieser Krieg findet auch innerhalb der Klasse statt: Die Marchesa beutet die Bauern und die Arbeiter aus, aber die Arbeiter nutzen wiederum Lazzaro aus. Am Ende beutet jeder irgendjema­nden aus, nur Lazzaro nicht. SN: Ist diese reine Güte etwas, das eher nah der Natur existiert, nicht in der Stadt? Ich glaube nicht, dass das irgendwie etwas zu tun hat mit Stadt oder Land. Ich liebe die Menschen, egal wo sie her sind, die sind alle in derselben Lage, und so sehe ich das. Das Gute ist wie eine wilde Blume, es kann in einem Feld blühen, aber auch in einer Asphaltrit­ze. Film:

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BILD: SN/FILMLADEN Auch in Bedrängnis verliert ein junger Mann in dem Film „Glücklich wie Lazzaro“niemals seine Zuversicht.

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