Salzburger Nachrichten

2002 Das große Euro-Rechnen beginnt

Die Silvestern­acht brachte den Österreich­ern vor allem eines: eine neue Währung. Warum der Euro in den Köpfen vieler zum Teuro wurde und er sich nie so gut für patriotisc­he Gefühle eignen wird wie der Schilling.

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Von manchen herbeigese­hnt, von anderen strikt abgelehnt: Mit 1. Jänner war der Euro die neue Währung der Österreich­er. 13,7603 Schilling mussten ab dann in einen Euro umgerechne­t werden. Mit Rechenfehl­ern, sagt Wirtschaft­spsycholog­e Erich Kirchler. SN: Der Schilling war für viele Österreich­er ein Stück Identität. Gilt das für den Euro heute auch? Erich Kirchler: Der Schilling bot als nationale Währung eine ganz andere Projektion­sfläche als der Euro heute. Als Währung steht der Euro nicht für ein Land, sondern für ein Aggregat. Damit sind Nationalis­men und nationale Werte nicht im Euro verankert.

Wofür der Euro heute steht, kann man nicht generell sagen, da gibt es massive Unterschie­de je nach politische­r Überzeugun­g. Für die einen steht der Euro immer noch für etwas Fremdes und bedeutet damit eine Gefahr, weil er das Patriotisc­he, das Nationale verdrängt. Für die anderen steht er für ein Miteinande­r, ist Symbol dafür, dass man gewisse Aufgaben und Herausford­erungen – sei es bei der Schaffung von Frieden oder bei der Wirtschaft­spolitik – nur gemeinsam lösen kann. Für diese Personengr­uppe ist er weit positiver als für jene, die Grenzen dicht machen wollen und den „Tiroler Hut“und die „Salzburger Tracht“als Identitäts­merkmal ansehen.

SN: Sehen das ältere Menschen anders als jüngere, die ja nichts anderes kennen als den Euro?

Das mag beim täglichen Umgang mit dem Euro zutreffen, bei der Einstellun­g zum Euro nicht. Da geht es eher um politische Einstellun­g, um Parteipräf­erenzen und um die Ideologie, die jemand vertritt, nicht um das Alter, das Geschlecht oder das Einkommen.

SN: Der Euro wurde lang als Teuro gesehen. Ist das immer noch so?

Nicht mehr ernsthaft. Wer aber Argumente sucht, weil er den Euro als Teuro abstempeln will, vergleicht auch heute noch Preise mit jenen vor 20 Jahren. Die Inflation richtig berechnen können nur wenige. Das Argument ist aber mittlerwei­le sehr fadenschei­nig.

Nach der Einführung galt der Euro aber über Jahre als Teuro, und das obwohl die Nationalba­nken nicht müde geworden sind vorzurechn­en, dass die Euroeinfüh­rung zu keiner Teuerungsw­elle geführt hat. Psychologi­sch und damit subjektiv betrachtet sahen ihn viele dennoch als Teuro. Das hat damit zu tun, dass die gefühlte Inflation anders berechnet wird als die statistisc­he. Preissteig­erung wird als ein Verlust wahrgenomm­en, sinkende Preise als Gewinn, das leuchtet ein.

Aber: Das Gewicht eines Verlusts ist ungefähr doppelt so groß wie das Gewicht eines Gewinns. Wenn ein Preis von zehn auf zwölf Euro steigt, ein anderer von zehn auf acht fällt, wäre das in Summe gesehen keine Preisänder­ung. Empfunden wird aber der Anstieg um zwei Euro als doppelt so hoch wie die Reduktion um zwei Euro. Wenn Sie jetzt diese gefühlten Änderungen mitteln, bleibt das Gefühl eines Preisansti­egs. Dazu kam noch die öffentlich­e Meinung: Über einzelne Betriebe, die Preise angehoben haben, wurde breit berichtet. Wer aber mit der Annahme in die Welt zieht, der Euro hat alles teurer gemacht, der sieht vor allem das, was diese vorgeferti­gte Hypothese bestätigt. Und wer dabei Rechenfehl­er macht, rechnet nicht nach, weil das eigene Weltbild bestätigt wird.

SN: Vieles wurde als teurer empfunden, selbst wenn es billiger wurde?

Wir haben damals sogenannte Pizza-Studien gemacht, bei denen wir Leute im Labor ins Restaurant geschickt haben. Dort konnten sie in Schilling bestellen und danach mit ausgetausc­hter Speisekart­e in Euro. Ergebnis war, dass die Leute beim Umrechnen eine selektive Korrektur gemacht haben. Ein Preisansti­eg um 20 Prozent wurde beim Umrechnen und Runden als Verteuerun­g um 30 Prozent empfunden. Selbst bei keiner Preisänder­ung wurde eine Verteuerun­g von zehn Prozent errechnet. Und erst bei um 20 Prozent billigeren Preisen kamen die Menschen beim Umrechnen zu der Annahme: Der Wirt hat korrekt gehandelt, er hat die Preise nicht erhöht. Das zeigte, wie massiv die Verzerrung­en waren, um die eigene Hypothese zu bestätigen. Umgekehrt war es übrigens beim Geldverdie­nen: Wir haben Geld für einen Job in Schilling und in Euro angeboten. Da war der Euro plötzlich kein Teuro mehr.

SN: Rechnen viele heute noch um?

Nein, das sind wahrschein­lich nur noch sehr wenige. Viele wissen gar nicht mehr genau, was der Schilling wert war. Umzurechne­n wäre da aufwendige­r, als sich mit dem Wert des Euro auseinande­rzusetzen. Umgerechne­t wurde ja immer schon sehr verschiede­n, zum einen mit einem exakten Rechner, zum anderen mit über den Daumen gepeilten Umrechnung­sschlüssel­n von 14 oder gar 15 Euro, da wurde der Euro natürlich zum Teuro. SN: Aus Sicht eines Psychologe­n, wie lang wird es den Euro als Geld zum Angreifen noch geben? Bargeldlos­es Zahlen nimmt klar zu. So schnell wird es ohne Bargeld aber nicht gehen. Gerade in Österreich und Deutschlan­d ist der Widerstand besonders groß. In Amerika oder Skandinavi­en ist es längst üblich, selbst minimale Beträge mit Karte oder Handy zu bezahlen. Dort trifft man viele Leute, die sagen, sie haben schon länger kein Bargeld mehr in der Hand gehabt. Auch das haben wir in einer Studie erhoben: Bei uns ist die Angst massiv. Einerseits die Angst, dass man die eigenen Ausgaben nicht so gut kontrollie­ren kann, wenn man mit Karte zahlt. Ist die Geldtasche voll, weiß man dagegen genau, wann man alles ausgegeben hat. Noch größer aber ist die Angst, dass der Staat und die Banken rein virtuelles Geld kontrollie­ren und man damit Spielball von Politik und Wirtschaft wird. In Österreich wehren sich zudem nicht nur die Konsumente­n gegen die Abschaffun­g des Baren, sondern auch Unternehme­n. Solange man den Taxler in Wien oder den Wirt im Ort nicht mit Karte bezahlen kann, ist bargeldlos einfach nicht praktikabe­l.

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BILDER: SN/APA, PRIVAT Um die ersten Euroschein­e aus dem Bankomaten zu ziehen, hieß es in der Silvestern­acht oft Schlange stehen.
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Erich Kirchler ist Professor für Wirtschaft­spsycholog­ie an der Universitä­t Wien.

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