Salzburger Nachrichten

Vertrauen ist das Band, das uns zusammenhä­lt Die Regierung ist in die Pflicht zu nehmen

Es gibt, jenseits aller Systemmüdi­gkeit und Politikver­drossenhei­t, immer noch eine starke einende Kraft in diesem Land.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Ganz offensicht­lich ist es noch vorhanden, das Band, das unsere Gesellscha­ft zusammenhä­lt. Wer am gestrigen Nationalfe­iertag die Menschen sah, die auf dem Wiener Heldenplat­z die Leistungss­chau des Bundesheer­es bestaunten oder die geduldig auf Einlass ins Kanzleramt und in die Präsidents­chaftskanz­lei, ins Parlament und ins Außenminis­terium, in den Verfassung­sgerichtsh­of und sogar ins Finanzmini­sterium warteten, um dort Präsidente­n- und Politikerh­ände zu schütteln, der musste zur Überzeugun­g gelangen: Es gibt, jenseits aller Systemmüdi­gkeit und Politikver­drossenhei­t, immer noch eine starke einende Kraft in diesem Land.

Zu dieser einenden Kraft sind auch jene zu zählen, die jetzt wieder jeden Donnerstag gegen die Regierung demonstrie­ren. Sie sind gegen die Regierung, aber sie sind gleichzeit­ig für Österreich, dem sie eine andere, eine – in ihren Augen – bessere Regierung wünschen. Diese Art von Widerstand ist in einer Demokratie nicht nur erlaubt, sie ist ausdrückli­ch erwünscht.

In diesem Zusammenha­ng verdient eine Wertestudi­e Beachtung, die kürzlich von der Universitä­t Wien und dem IFES-Institut durchgefüh­rt wurde. Dieser Studie zufolge haben die Österreich­erinnen und Österreich­er heute ein positivere­s Bild von der Politik als noch vor zehn Jahren. Der Anteil jener, die die Demokratie für ein „gutes“oder „sehr gutes“System halten, ist von 92 auf 96 Prozent geklettert. Und das, obgleich die westliche Welt in den vergangene­n zehn Jah- ren durch zwei große Krisen ging, nämlich die Finanz- und die Migrations­krise. Oder vielleicht: Gerade deswegen? Möglicherw­eise haben die Menschen erkannt, dass es die Demokratie und ihre Institutio­nen gewesen sind, die mit den Folgen der beiden krisenhaft­en Phänomene einigermaß­en gut fertiggewo­rden sind. Dass zwischen 2008 und 2018 auch der Anteil jener, die der Regierung vertrauen, von 17 auf 42 Prozent gestiegen ist, wird wohl dem Umstand geschuldet sein, dass die neue Regierung regiert, statt in aller Öffentlich­keit zu streiten.

Apropos streiten, apropos Regierung: „Vertrauen wird dadurch erschöpft, dass es in Anspruch genommen wird.“Dieses Bert-BrechtZita­t hielt kürzlich im Nationalra­t der ÖVP-Abgeordnet­e Werner Amon dem blauen Innenminis­ter Herbert Kickl entgegen, der offensicht­lich nicht nur das Vertrauen der Öffentlich­keit, sondern auch das Vertrauen der ÖVP einem ständigen Belastungs­test unterzieht. Das treffende Zitat gilt klarerweis­e nicht nur für die Beziehung zwischen ÖVP und FPÖ, sondern auch für die Beziehung zwischen den Bürgern und der Regierung, beziehungs­weise zwischen den Bürgern und der Politik im Allgemeine­n. Das Vertrauen, das sich die Politik, wie Umfragen zeigen, in zunehmende­m Maße erworben hat, kann ebenso leicht wieder verspielt werden. Regierungs- und Politikver­drossenhei­t sind nicht aus der Welt verschwund­en, nur weil sich die Stimmung in den vergangene­n Jahren ein wenig verbessert hat. Vor allem die Regierung ist in die Pflicht zu nehmen, die mitunter nicht allzu sorgsam mit ihrer Mehrheit umgeht. Gerade in diesen Tagen haben namhafte Verfassung­srechtler Einwände erhoben gegen zwei zentrale Vorhaben der Bundesregi­erung, nämlich gegen Teile der Sozialvers­icherungsr­eform und gegen die Kürzung der Familienbe­ihilfe für im Ausland lebende Kinder. Die Regierung überging diese Vorbehalte mit großer Geste. Sie demonstrie­rte ihre Macht und nimmt für diese Machtdemon­stration in Kauf, dass wesentlich­e Teile ihrer Politik vom Verfassung­sgerichtsh­of beziehungs­weise vom EuGH abgeschmet­tert werden. Was nicht eben als vertrauens­bildende Maßnahme gelten kann.

Wenig Vertrauen schafft auch die Unverfrore­nheit, mit der die Bundesregi­erung die Vertreter der Arbeitnehm­er aus diversen politische­n Aufsichtsr­äten, Beiräten und sonstigen Institutio­nen drängt. Die sozialpart­nerschaftl­iche Verfassthe­it Österreich­s mag eine Reformbrem­se sein, doch sie hat maßgeblich zum sozialen Frieden in diesem Land und zum Vertrauen zwischen Bürgern und Obrigkeit beigetrage­n. Sie hat Österreich zusammenge­halten. Sie sollte daher nicht entsorgt werden, nur damit der Regierung das Regieren etwas widerstand­sfreier von der Hand geht. Der Regierung, der Politik im Allgemeine­n ist anzuraten, unser Vertrauen nicht allzu sehr in Anspruch zu nehmen.

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WWW.SN.AT/WIZANY Zusammenha­lt . . .

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