Sex auf der Couch im Jugendzimmer
Null Ahnung von Mike Singer? Kommt davon, wenn man kein Insta hat und nicht im Rockhouse war.
Um das Gekreische wegen des deutschen Jung-Popstars Mike Singer zu verstehen, taugt sein künstlerisches Schaffen nicht. Dafür taugt die Statistik: 111.000 Follower bei Twitter, 1,5 Millionen bei Instagram. Bei Facebook gefällt er 353.713. Derzeit gibt es auch Chance auf direkten Kontakt. Singer ist auf Tour – am Donnerstag war er im Salzburger Rockhouse. Ausverkauft! Trotzdem war’s bequem zum Stehen, weil die Teeniekörper halt weniger Platz brauchen. Singer hat zwei Alben veröffentlicht. Beide waren Nummer eins in den Charts. Er schreibt und komponiert selbst und reimt: „Ich bin Sänger und kein Instagrammer.“Das Spiel mit Insta hat er perfektioniert. Mit der Stimme hat er noch Arbeit. In erster Linie wirst du aber nichts ohne Social Media, schon gar kein „fucking star“, wie er über sich singt. Ironie schwingt da nicht mit.
Eine Stunde vor dem Konzert können ihn die wartenden Fans in der Schlange draußen vor dem Rockhouse schon auf Snapchat sehen, wo der 18-Jährige an jedem Tourort vom Soundcheck ein Video hochlädt. Immer sagt er dann, dass er sich schon freue. Kreisch! Drinnen, wo der Kreischpegel Flugzeuglärmniveau erreicht, haben manche nicht nur für das Konzert bezahlt. Für einen Hunderter gab es VIP-Tickets. Wenn der Rest den Saal verlassen hat, wird eine Fototapete aufgebaut. Vor der stehen die VIPTicket-Holder (zu 99 Prozent sind es Holderinnen) an, um ihr ganz persönliches Foto mit Mike Singer, als deutschsprachiger Justin Bieber verkauft, zu machen. Diese Show dauert länger als das Konzert.
Singer und – wie er sagt – „sein Team“(Band wäre auch ein irreführender Begriff) – mischen sanften Singsang und Sprechgesang, rockige Gitarren und dancefloorige Soundsamples. Singer funktioniert als One-Man-Boygroup, indem er Vorlieben jeder Zielgruppe abdeckt – raffiniert ausgetüftelt wie der Shopmix in einem Einkaufszentrum. Dass dabei im Rockhouse der Bass zu wummernd und so dick aufgetragen ist, dass die Verständlichkeit der Stimme leidet, ist egal. Kennen eh alle alles auswendig. Und dann singen alle: „Immer wenn ich ,Ja‘ sag, meine ich aber ,Nein‘.“Über diesen Zustand herrscht Einigkeit in der pubertären Verwirrung. Nah an dieser Gefühlswelt zu formulieren, das beherrscht Singer wirklich gut. Da haben frühere Generationen von Teenie-Stars weit unpräziser herumgeschwurbelt um TeenieTatsachen. Reality zwischen Netflix und Instastory, Snap und Skaten und McDonald’s, Saturn und ChillArea taucht bei Singer auf. Er dichtet wie ein Redakteur des Jugendslang-Dudens. Sprachlich erreicht er die Tiefe einer Wasserpfütze. Die Reime haben die Dichte eines Siebs. Das macht aber nichts, wenn ihn