Salzburger Nachrichten

Zwei Frauen und ein Männerrude­l

Schillers „Maria Stuart“ist in Graz als Kampf der Geschlecht­er inszeniert.

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Acht Männer, die sich vom Anzug bis zur Brille und Frisur gleichen, sitzen erhöht und blicken auf die barfüßige Maria Stuart hinab. Sie werfen mit Äpfeln und schlecken sich gegenseiti­g die Schuhe ab. Sie wollen sich behaupten, rangeln um das eigene Fortkommen, sie wollen Sex, sie wollen Macht. Später werden die famosen Tiger Lillies „Same Old Story“singen und man wird erkennen, dass die Vorgänge am Hof von Königin Elisabeth im 16. Jahrhunder­t von zeitloser Verwerflic­hkeit sind.

„Maria Stuart“von Friedrich Schiller: Regisseur Stephan Rottkamp inszeniert im Grazer Schauspiel­haus den Trauerspie­l-Klassiker als politische Liebestrag­ödie sehr klar und stringent, reduziert auf acht Männer und zwei Frauen. Auf und unter der mobilen, weißen Schräge (Bühne: Robert Schweer) ist auch Platz für Humor, der allerdings nie ins Flapsige oder Überorigin­elle abgleitet. Die gleichförm­ige Männerrieg­e, bestehend aus Staatssekr­etären, Grafen, Rittern und Baronen, agiert als kommentier­ender Chor, wenn die Perücken abgenommen werden, schälen sich Individuen aus der anonymen Masse. Nach anfänglich­en Unsicherhe­iten und der Gefahr des Ungelenk-Seins geht dieses Konzept voll auf, Stephan Rottkamp reichert das Schiller’sche Pathos wohl dosiert mit Sinnlichke­it und Ironie an und macht dieses so bekömmlich.

Was ist der Mensch? Was ist das Glück der Erde? Fragen wie diese stellt Schiller, und in Graz erhält man darauf durchaus ein paar ganz brauchbare Antworten. Elisabeth (Sarah Sophia Meyer) mit goldener Krone und rotem Kleid ist eine teils fremdbesti­mmte, entscheidu­ngsschwach­e Herrscheri­n, auf deren Thron sich einige Nöte angesammel­t haben. Sie scheitert selbst im ritualisie­rten Sexspiel mit dem Grafen von Leicester, der von Florian Köhler als wunderbar berechnend­er und intrigenre­icher Egomane verkörpert wird. Die Inszenieru­ng glänzt immer wieder mit Brüchen – Ausstiege aus den Rollen werden mit Szenenappl­aus bedacht – und vorzüglich­en Einfällen: Vor dem historisch nicht belegten Zusammentr­effen von Elisabeth und Maria Stuart werden aus den Besen des Männerrude­ls in Sekundensc­hnelle Gartenbäum­e. Die Blicke der Kontrahent­innen treffen sich erst allmählich, in der folgenden Eskalation ist – einmal mehr – der Sexus nicht präsent.

Stephan Rottkamp meißelt mit souveräner Geste aus der ehrwürdige­n Textvorlag­e einen bildmächti­gen Kampf der Geschlecht­er. Einen, in dem es keine Sieger, sondern nur Verlierer geben kann. Die Männer lassen die Hosen herunter, die Frauen leiden an ihrem Schicksal. Kommentar des Chors: „Das ist krass.“Am Ende reflektier­t Maria Stuart (sehr emotional: Henriette Blumenau) im Kerzensche­in ihre Vita, die Atmosphäre dieser Szene erinnert an ein altmeister­liches Gemälde. Bald darauf wird die Bühnenschr­äge zum Schafott. So kreativ, so zeitgemäß kann Stadttheat­er sein.

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