Quälende Fragen, aber keine Antwort
Ein Jahr nach der Bluttat in der steirischen Gemeinde Stiwoll gibt es immer noch keine Spur zu dem mutmaßlichen Doppelmörder Friedrich F. Die Polizei ist weiter „brennend interessiert“, die lokale Bevölkerung wünscht sich Ruhe.
STIWOLL. Die Straßen und Gehsteige sind leer, wer in Stiwoll Menschen treffen will, muss in die Gasthäuser oder zum lokalen Supermarkt. Dort zeigt man sich – angesprochen auf den Doppelmord vor einem Jahr – eher wortkarg. „Was wollt’s denn noch? Er ist weg und das wohl für immer. Mehr gibt’s nicht zu sagen“, sagt einer, der gerade Bier und Lebensmittel für die kommenden Feiertage einkauft. Mit „er“ist Friedrich F. gemeint. Jener Steirer, der am 29. Oktober des Vorjahres zwei Menschen erschossen und eine weitere Person schwer verletzt hat. Seither ist F. wie vom Erdboden verschluckt.
Die 722-Einwohner-Gemeinde ein Jahr nach der Bluttat. Die aufwühlenden Tage der massiven Polizeipräsenz im Ort sind vorbei, das Alltagsleben ist wieder eingekehrt. Auf einer Plakatwand im Zentrum finden sich Ankündigungen für eine Vielzahl an Veranstaltungen in der Region: Herbstkonzert, Kleintierausstellung, Jagaball, Bauernball, Ballnacht, Weihnachtsflohmarkt. Und: Ein gruseliger Maskenmann fragt auf einem Plakat des Kulturhauses Gratkorn: „Und was machst Du zu Halloween?“Der Bedarf an Angst und unguten Gefühlen dürfte in Stiwoll gedeckt sein. Die Ungewissheit rund um die Bluttat zehrt an den Nerven. Wo ist der Mann, der zur Tatzeit 66 Jahre alt war? Ist er noch am Leben? Gelang ihm die perfekte Flucht? Oder hat er – irgendwo im Umkreis von Stiwoll – Suizid begangen?
Quälende Fragen, auf die auch die Beamten der Landespolizeidirektion Steiermark keine Antwort geben können. Die in der Causa F. eingesetzte Sonderkommission wurde inzwischen zwar aufgelöst, aber die Ermittlungen laufen weiter, bis der Verdächtige gefunden ist. Rund 440 Hinweisen aus der Bevölkerung sind die Kriminalisten bislang nachgegangen – alles ohne Erfolg. Die Spur zu dem Steirer reißt mit dem in einem Waldstück aufgestellten Fluchtauto ab.
Er glaube nicht, dass F. seine Flucht nach den Todesschüssen geplant habe, sagt Rene Kornberger, der Leiter der einstigen Sonderkommission heute. Einiges deute darauf hin, dass der in ganz Europa gesuchte Steirer nicht mehr am Leben sei. Allerdings: Einen Beweis für diese These gibt es nicht. Friedrich F. hat es mittlerweile – neben Tibor Foco – auf die Liste der „Austria’s Most Wanted Persons“geschafft, die Fahndung nach ihm hat laut Polizeiangaben rund 3,5 Millionen Euro verschlungen.
Für die beiden Opfer wird morgen, Sonntag, im Rahmen einer Marienandacht gebetet. Gewissheit über das Schicksal des mutmaßlichen Doppelmörders würde es auch den Hinterbliebenen leichter machen, aber davon kann vorerst keine Rede sein. Der nicht nur in der steirischen Kriminalgeschichte einzigartige Fall geht auch den Fahndern nahe: „Wir haben so viel Zeit in diesen Fall, der uns immer noch brennend interessiert, gesteckt. Wir hoffen, dass sich das Rätsel doch noch auflösen wird.“
Er habe gelernt, mit der Frage umzugehen, sagte der Stiwoller Bürgermeister Alfred Brettenthaler (ÖVP) im Gespräch mit der APA: „Es gibt alle Möglichkeiten. Das Thema ist so intensiv behandelt worden, ich denke, jede weitere Minute, die man sich darüber unterhält, ist schade. Die Zeit des Lebens, des Sommerfests, des Erntedanks, ist zu schön, um darüber zu reden. Das ist mein persönliches Empfinden.“Sein Nachsatz: „Der 29. Oktober wird ein ruhiger Tag in Stiwoll.“Brettenthaler wünscht sich, „dass wir keine medialen Besucher bekommen. Ich glaube, da spreche ich für alle.“
„Das gute Beispiel ist die einzige Möglichkeit, andere Menschen zu beeinflussen“: Diese Weisheit hängt im Schaukasten des Stiwoller Kameradschaftsbundes. Viele in Stiwoll wollen mit gutem Beispiel vorangehen und mit dem tragischen und belastenden Geschehnis subjektiv abschließen. „Das Leben geht weiter und das ist gut so“, sagt ein Einwohner. Und blickt in die warme Herbstsonne.