Wie ein Elektroauto zur Biene wird
E-Autos könnten künftig automatisch Strom aufladen – mit Andockrüssel und Ladepad statt Kabel und Stecker.
GRAZ. Hermann Stockinger ist ein Tüftler, speziell was Autos und deren Zukunft betrifft. Die ist – so sind sich mittlerweile viele einig – elektrisch. Doch der entscheidende Schwung, der das E-Auto so richtig in Gang bringt, lässt auf sich warten. Zu teuer, zu ineffizient, zu mager, was die Reichweite betrifft, lauten die Gegenargumente. Und das Laden? Auch das ist mühsam. Und das wurmte Stockinger, den Absolventen der TU Graz, gewaltig.
Irgendwann sei ihm klar geworden, erzählt er, „dass das klassische Tankmodell, so wie es an den E-Ladestationen mit Stecker und Kabel übernommen wird, auf Dauer nicht zielführend sein kann, um die Elektromobilität in die Breite zu bringen“. Also verfolgte er eine eigene Idee: „Warum nicht das E-Auto automatisch aufladen, egal wo es gerade steht?“ Heute, drei Jahre später, beschäftigt Stockinger in seiner Firma easelink 50 Mitarbeiter und steht mit seiner Entwicklung „Matrix Charging“kurz vor dem Durchbruch. Bei Autobauern von China bis Europa zieht sein Produkt die Aufmerksamkeit auf sich, noch mehr, seit sich die EU-Länder auf eine massive Senkung des CO2-Ausstoßes bei Fahrzeugen bis 2030 einigten.
Doch wie funktioniert Matrix Charging? Im Prinzip ein wenig so wie eine Biene, die von Blume zu Blume fliegt und Nektar sammelt. Auf dem Unterboden des E-Autos wird ein Konnektor oder Rüssel verbaut, der fährt beim Anhalten aus und verbindet sich automatisch mit einer im Boden angebrachten Induktionsfläche. Es entsteht ein Stromkreislauf, und die Batterie kann geladen werden. „Das Andocken ist ein Vorgang von Sekunden“, erklärt Stockinger. Durch die konduktive Ladetechnologie sei eine übertragbare Leistung von bis zu 50 kW möglich. Der Tesla Supercharger kommt derzeit auf 140 kW.
Aber Stockinger geht es nicht primär um die Schnelligkeit beim Laden. Er weiß: „Ein E-Auto wird man nie so schnell laden können, wie man einen Benziner oder Diesel auftankt.“Vielmehr sieht er sein Matrix Charging als Modell für ein laufendes Stop-&-go-Laden. Denn die robusten Ladepads könnten überall installiert werden, wo man sie haben wolle und eine Stromquelle nicht weit sei – in der Tiefgarage im Einkaufszentrum oder sogar an der Ampel. Man sei auch mit Fast-Food-Anbietern im Gespräch, sagt der easelink-Chef, der sich für die Entwicklung seiner Innovation 2,05 Mill. Euro an EU-Fördergeldern sichern konnte. Seine Vision für ein modernes Drive-in lautet: „Die könnten irgendwann das Menü plus vier Kilometer Reichweite anbieten.“Man müsse für eine funktionierende E-Mobilität, so ist der gebürtige Oberösterreicher und nunmehrige Wahlsteirer überzeugt, „die Denkweise ändern“.
Aktuell sehe die EU in ihrem Leitfaden eine Ladestation auf zehn E-Autos vor, mit Matrix Charging wären zehn Ladepunkte auf ein Auto möglich. Und die Infrastruktur sei maximal skalierbar. Ziel sei ganz klar, den Ladevorgang von Elektrofahrzeugen zu automatisieren.
In echt ist mit Matrix Charging derzeit zwar erst eine Fahrzeugflotte der Energie Steiermark ausgerüstet. Mit zahlreichen Autoherstellern gebe es aber – zum Teil unter strenger Geheimhaltung – enge Kooperationen für künftige Projekte. Mit dem chinesischen Hersteller Great Wall Motors (GWM) hat man das automatische Ladesystem in eine Simulationsumgebung in der Nähe von Chengdu implementiert, und erst kürzlich präsentierte man auf der eMove360°, der Leitmesse für nachhaltige Mobilität in München, einen mit Matrix Charging ausgestatteten BMW i3.
Man stehe in der Produktion kurz vor der Serienüberführung, erklärt Stockinger. Bis 2021 soll das neue ELadesystem in großer Anzahl vom Band laufen. Beim Industriepartner könne man derzeit von einem Standort in Europa ausgehen, man habe aber auch gute Kontakte nach China, dort herrsche in der E-Mobilität „eine irrsinnige Dynamik“. Exklusiv für nur einen Autobauer wolle man jedenfalls nicht anbieten. „Wir wollen, dass sich das automatische Laden weltweit durchsetzt.“
„Wir müssen die Denkweise ändern.“