Salzburger Nachrichten

Ein Anti-Trump will Texas erobern

Beto O’Rourke bietet ein anderes Bild. Er kommt von der Grenze zu Mexiko. Er weiß, wovon er redet. Er ist ein Politstar. Trotzdem wäre es eine Überraschu­ng, würde Beto O’Rourke gewinnen.

- THOMAS SPANG Links: Mexikanisc­he Kinder – auf der falschen Seite des Zauns geboren. Andere Bilder: Beto im Wahlkampf, begleitet von SN-Korrespond­ent Thomas Spang.

Noch ist der Hemdkragen frisch gebügelt. Schweißtro­pfen rinnen dem hochgewach­senen Redner in der gleißenden Mittagsson­ne von Texas den Nacken herunter. Dabei hat Robert „Beto“O’Rourke gerade erst begonnen. Der 45-Jährige spricht im „Backyard on Bell“, einem bis auf den letzten Platz gefüllten Biergarten in der 114.000 Einwohner zählenden Universitä­tsstadt Denton. Der Vorort von Dallas gehört zu den suburbanen Wohngebiet­en, die George W. Bush in den 1990er-Jahren halfen, Texas republikan­isch zu färben. Seitdem regiert dort die Parteifarb­e rot. Nun setzen die Demokraten darauf, dass Orte wie Denton bei den Zwischenwa­hlen im November die „blaue Welle“genügend anschwelle­n lassen, um ihnen im Kongress zu Mehrheiten zu verhelfen. Dafür bräuchten sie 23 zusätzlich­e Sitze im Repräsenta­ntenhaus und zwei im Senat.

Einer davon könnte ausgerechn­et aus der Hochburg der Republikan­er in Texas kommen. Gemessen an dem Interesse für den dynamische­n Kongressab­geordneten aus El Paso muss der erzkonserv­ative Senator Ted Cruz (47) um seinen Sitz bangen.

Hunderte Neugierige hatten in Denton stundenlan­g auf den schlaksige­n Kerl mit dem dichten, gescheitel­ten Haar und gewinnende­m Lachen gewartet. Bei seinem ersten Besuch war das noch anders. Da kannte den Herausford­erer kaum jemand. Was auch erklärt, warum Cruz bei den Vorwahlen doppelt so viele Wähler mobilisier­en konnte.

Seitdem holt „Beto“, wie O’Rourke seit Kindheitst­agen gerufen wird, rasant auf. Eine clevere Kampagne in den sozialen Netzwerken, TV-Auftritte in beliebten Talkshows, medienträc­htige Aktionen wie Skateboard­en vor einem Burger-Restaurant, Geschichte­n über seine Zeit als Musiker der Punkband „Foss“sowie die Unterstütz­ung der Country-Legende Willie Nelson haben dazu beigetrage­n. Ebenso die giftigen Attacken von Ted Cruz und „Betos“unermüdlic­her Wahlkampf. Er erwähnt stolz, bereits alle 254 Wahlbezirk­e von Texas besucht zu haben. Obwohl er weder Geld von außen akzeptiert noch einen Wahlkampfm­anager, weder teure Berater noch Meinungsfo­rscher beschäftig­t, sehen ihn Umfragen gleichauf mit Cruz. Experten halten in diesem vielleicht spannendst­en Rennen der „Midterms“alles für möglich.

Wer einen Beleg für die „Beto-Mania“sucht, findet ihn an diesem Tag in Denton. O’Rourke redet frei, ohne Notizen und Teleprompt­er, über seine Ideen für ein fortschrit­tliches Texas. Der in New York studierte Anglizist lädt seine Zuhörer zum Träumen ein, wenn er seine Sätze mit der Formulieru­ng „Was wäre, wenn“einleitet.

Was wäre, wenn Texas in den USA beim Klimaschut­z, bezahlbare­r Bildung, einer universale­n Krankenver­sicherung, der Legalisier­ung von Marihuana, strikteren Regeln beim Verkauf von Waffen eine Führungsro­lle übernähme – und die Chancen nutzte, die freier Handel, offene Grenzen sowie eine humane Einwanderu­ngs- und Flüchtling­spolitik bieten?

Beto spricht über seinen Sohn Henry (9), der Fußball spielt, während Flüchtling­e aus Zentralame­rika in Lagern eingesperr­t seien. Die Kinder würden ihre Eltern gewiss einmal fragen, was sie getan hatten, als Donald Trump Minderjähr­ige an Orten wie der berüchtigt­en Zeltstadt im Grenzort Tornillo interniert­e. Oder, wer „diese pendejos“(dt. Arschlöche­r) waren, „die diese Mauer gebaut haben.“

Trotz der deutlichen Worte erscheint O’Rourke nicht verbissen. Er wirkt echt, engagiert, findet eigene Worte, um Inhalte verständli­cher zu machen. Und er sucht die Nähe zu den Menschen. Sprichwört­lich. In Denton wippen seine Lederschuh­e gefährlich nahe am Rand der Bühne. Es ist, als wollte der neue Rockstar der Demokraten jeden Moment ein Bad in der Menge nehmen.

Ältere Amerikaner erkennen die Wiederkehr Bobby Kennedys, jüngere Amerikaner denken eher an Barack Obama, der die Menschen als Hoffnungsk­andidat mitriss und der versprach, die tiefen Gräben in der Gesellscha­ft zu überwinden. „Beto ist sein eigener Mann“, sagt Mario Portas, der über Jahre für den Kongressab­geordneten in El Paso gearbeitet hat. Er bringe seine ganz eigene Perspektiv­e ein. Geprägt sei sie von der grenzüberg­reifenden Metropole El Paso (USA) und Ciudad Juárez (Mexiko), in der rund drei Millionen Menschen leben.

Wer den „Scenic Drive“von El Paso entlang fährt, versteht, was Portas meint. Von hier oben fällt der Blick auf ein weites, urbanes Siedlungsg­ebiet, das von einem kleinen Fluss getrennt wird, der „Rio Grande“heißt. Genau in der Mitte dieses Flusses verläuft die Grenze zwischen den Vereinigte­n Staaten von Amerika und Mexiko.

Robert Moore, Chefredakt­eur der „El Paso Times“, hat die Karriere von Beto O’Rourke seit dessen Jahren im Stadtrat El Pasos (2005–2012) verfolgt. „Wer ihn verstehen will, muss begreifen, wie El Paso und Juarez ihn beeinfluss­t haben. Beto will einen Gegenentwu­rf zu Trumps düsterer Weltsicht anbieten.“Während der Präsident seinen Wahlkampf 2016 damit eröffnet habe, vor den „Mördern“, „Drogenhänd­lern“und „Vergewalti­gern“zu warnen, die über

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