Mitraucherhölle
Einem Kindheitstrauma meines Vaters, das ihn bis zu seinem Lebensende in erschreckender Intensität verfolgte, verdanke ich, dass mir die Nikotinsucht erspart blieb. Immer wieder erzählte er auf seine eindringlich-anschauliche Art mit gleichbleibender Erschütterung, wie ein Onkel vor seinen Augen elendig an Zungenkrebs krepiert war, den er sich durch Zigarettenrauchen zugezogen hatte: Der vor Schmerzen brüllende, sich auf dem Fußboden wälzende Mann hatte sich vor den Augen seines kleinen Neffen schließlich selbst die eigene Ober- und Unterlippe komplett abgebissen! Dieses Schreckensbild ging auch mir nicht mehr aus dem Kopf. Überdies waren die beiden grauenhaftesten Figuren meiner Kindheit in Lend – der Baupolier der SAG und der Volksschuldirektor – nicht nur widerlich brutale Männer, sondern starke Raucher, die weithin nach ihrem Laster stanken (und von denen es auch noch hieß, dass sie früher „feige Nazischweine“gewesen seien). Natürlich probierte auch ich – als Zehnjähriger mit Freunden in unserer selbst gebauten Hütte – das Rauchen, fand aber nie etwas daran. Nach vierzig Jahren harmonischen Zusammenlebens mit unterschiedlichen Nachbarn wurde in diesem Sommer unser Hauptwohnsitz in eine Mitraucherhölle verwandelt – und jeder sommerliche Arbeitsplatzwechsel (leider zu oft durch Arzttermine unterbrochen) war eine Flucht! Ironischerweise lud eine Institution, deren Tätigkeit ich schon vor fast zwei Jahrzehnten in einer Fernsehdokumentation über psychische Erkrankungen positiv porträtiert hatte und die ich weiterhin für wichtig erachte, ohne ein Wort der Kommunikation sechs massivste Raucher in zwei Wohnungen ab, die – eine weitere Ironie – von den mir so sympathischen Österreichischen Bundesforsten vergeben wurden.
Die Bewohner dieser Raucher-WGs begannen augenblicklich mit dem Dauerrauchen. Der ungünstige Windwirbel trug die ohne Unterlass gepafften Schwaden auf unseren Balkon und durch die anschließenden drei Fenster in die Wohnung. Der Balkon konnte nicht mehr genutzt werden – selbst Wäscheaufhängen verbot sich, da alles roch wie einer Selchkammer entnommen. Unsere Wohnung begann zu stinken wie ein Bahnhofswartesaal der 1960er-Jahre.
Die Schilderung des Martyriums, nur noch einen Raum auf der gegenüberliegenden Hausseite lüften zu können, würde den hier verfügbaren Platz sprengen.
Nachdem mich eine Betreuerin nur mitleidig wie einen Außerirdischen ohne jegliche irdische Lebenserfahrung angesehen hatte, als ich ihr eröffnete, noch niemals mit so einem Rauchverhalten konfrontiert gewesen zu sein, und auch ein Brett keine Barriere schuf, versuchte ich erfolglos, die Männer direkt zu animieren, doch die paar Schritte hinter das Haus zu gehen, wo sie niemanden behelligen würden. Irgendwann stieß ein dadurch genervter Raucher hervor, dass ihnen von den Betreuern verboten worden sei, woanders zu rauchen als auf dem Balkon!
Da ich über Umwege erfuhr, dass man uns die Folter dieses Frischluftentzugs – allen Ernstes deshalb, um das Rauchverhalten der WG-Bewohner zu verheimlichen! – zwei Jahre lang zumuten wollte (dann sei das neue Haus fertig, das den Rauchern gerade gebaut werde), galt es zu handeln.
Bei minimaler Kommunikation seitens der Institution (und wenn wir es nicht so lange toleriert hätten), dann hätte der Irrsinn von Anfang an unterbleiben können! O. P. Zier