Liebeskummer
ICHbin romantisch veranlagt. Bei „Dirty Dancing“könnte ich textsicher und sofort die weibliche wie die männliche Hauptrolle übernehmen. Whitney Houstons Stimme dringt in Sekundenschnelle durch meine Gänsehaut, sucht sich den Weg durch weitere Zellschichten und schwups, tanzt Whitney auf meiner Tränendrüse herum, dass jedes Zwiebelschälen ein Klacks ist dagegen. Es gibt sogar Menschen in meinem näheren Umkreis, die im Kino bei neuralgischen Szenen lieber mein Gesicht beobachten als die Leinwand. Da spiele sich mehr ab. Es sei lustiger. Was soll’s. Ich bin eben gefühlsstark. Kitschig? Kenn ich nicht.
Und dann passiert mir das. Ausgerechnet mir: Ich bin spätabends auf dem Heimweg und biege gerade in meine Straße ein, als vor mir der einzige weitere nächtliche Passant weit und breit in Deckung geht, sich gegen eine Steinmauer drückt und verzweifelt versucht, sich unsichtbar zu machen. Ein Igel. „Wenn du in die Richtung weiterläufst, kommst du durchs Neutor“, murmle ich. „Willst du es mit einem Obus aufnehmen, Kleiner?“Beherzt greife ich zu. Aua. Hechte zum nächsten Altpapiercontainer, fische einen Karton aus dessen Untiefen und erreiche den kleinen Kerl gerade wieder rechtzeitig, bevor er sich anschickt, die Straße zu überqueren. Ich bugsiere den stacheligen Wanderer auf den Karton, balanciere ihn etwa sieben Minuten durch die nächtliche Stadt bis zur nächsten Wiese, trage ihn weit hinein und laufe nach der gelungenen Igelrettung mit nassen Schuhen und dem Gefühl, etwas heldenhaft Gutes getan zu haben, zurück in meine Straße. Dort angekommen hockt verdutzt des Igels Freundin und blickt mich vorwurfsvoll an, als wollte sie sagen: „Und jetzt? Wo hast du ihn hingebracht, du brutale Riesin?“
Während ich erneut den Altpapiercontainer nach einem weiteren Stück Karton durchwühle, frage ich mich, ob Igel lieben können. Wird die Igeldame bald drüber hinwegkommen? Und wie schmerzhaft ist Sex mit einem Nagelkissen? „Love hurts“tönt es in meinem Kopf, während ich nun also die Igeldame durch Salzburg trage. Ziemlich laut sollen sie jedenfalls sein beim Sex, die Igelmännchen, das hab ich mal wo gelesen. Und dass da sogar mal jemand die Polizei gerufen hat, weil sich zwei lüsterne Haarbürsten im Stiegenaufgang vergnügt haben, und ein Anrainer sich belästigt fühlte. Ich laufe fast zur Wiese.
Die Igelfrau schaut aus zwei Knopfaugen verzagt in die Welt. Ich meine, ihren Kummer förmlich spüren zu können. Zu zweit halten wir Ausschau nach ihrem Liebsten. Keine Spur. Er ist schon über alle Stadtberge. It must have been love. But it’s over now. Ich bin untröstlich.