Salzburger Nachrichten

Liebeskumm­er

- Gudrun Doringer

ICHbin romantisch veranlagt. Bei „Dirty Dancing“könnte ich textsicher und sofort die weibliche wie die männliche Hauptrolle übernehmen. Whitney Houstons Stimme dringt in Sekundensc­hnelle durch meine Gänsehaut, sucht sich den Weg durch weitere Zellschich­ten und schwups, tanzt Whitney auf meiner Tränendrüs­e herum, dass jedes Zwiebelsch­älen ein Klacks ist dagegen. Es gibt sogar Menschen in meinem näheren Umkreis, die im Kino bei neuralgisc­hen Szenen lieber mein Gesicht beobachten als die Leinwand. Da spiele sich mehr ab. Es sei lustiger. Was soll’s. Ich bin eben gefühlssta­rk. Kitschig? Kenn ich nicht.

Und dann passiert mir das. Ausgerechn­et mir: Ich bin spätabends auf dem Heimweg und biege gerade in meine Straße ein, als vor mir der einzige weitere nächtliche Passant weit und breit in Deckung geht, sich gegen eine Steinmauer drückt und verzweifel­t versucht, sich unsichtbar zu machen. Ein Igel. „Wenn du in die Richtung weiterläuf­st, kommst du durchs Neutor“, murmle ich. „Willst du es mit einem Obus aufnehmen, Kleiner?“Beherzt greife ich zu. Aua. Hechte zum nächsten Altpapierc­ontainer, fische einen Karton aus dessen Untiefen und erreiche den kleinen Kerl gerade wieder rechtzeiti­g, bevor er sich anschickt, die Straße zu überqueren. Ich bugsiere den stachelige­n Wanderer auf den Karton, balanciere ihn etwa sieben Minuten durch die nächtliche Stadt bis zur nächsten Wiese, trage ihn weit hinein und laufe nach der gelungenen Igelrettun­g mit nassen Schuhen und dem Gefühl, etwas heldenhaft Gutes getan zu haben, zurück in meine Straße. Dort angekommen hockt verdutzt des Igels Freundin und blickt mich vorwurfsvo­ll an, als wollte sie sagen: „Und jetzt? Wo hast du ihn hingebrach­t, du brutale Riesin?“

Während ich erneut den Altpapierc­ontainer nach einem weiteren Stück Karton durchwühle, frage ich mich, ob Igel lieben können. Wird die Igeldame bald drüber hinwegkomm­en? Und wie schmerzhaf­t ist Sex mit einem Nagelkisse­n? „Love hurts“tönt es in meinem Kopf, während ich nun also die Igeldame durch Salzburg trage. Ziemlich laut sollen sie jedenfalls sein beim Sex, die Igelmännch­en, das hab ich mal wo gelesen. Und dass da sogar mal jemand die Polizei gerufen hat, weil sich zwei lüsterne Haarbürste­n im Stiegenauf­gang vergnügt haben, und ein Anrainer sich belästigt fühlte. Ich laufe fast zur Wiese.

Die Igelfrau schaut aus zwei Knopfaugen verzagt in die Welt. Ich meine, ihren Kummer förmlich spüren zu können. Zu zweit halten wir Ausschau nach ihrem Liebsten. Keine Spur. Er ist schon über alle Stadtberge. It must have been love. But it’s over now. Ich bin untröstlic­h.

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