Salzburger Nachrichten

Die Gemeinsamk­eiten sind aufgebrauc­ht

100 Jahre Republik: Zum runden Geburtstag gibt es jede Menge Gedenken. Doch nur wenige Gemeinsamk­eiten. Es ist Zeit für einen neuen Aufbruch.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Den Dialog suchen. Nicht verweigern.

Die österreich­ische Republik, die am Montag ihren hundertste­n Geburtstag feiert, hat eine Geschichte voller Brüche und Widersprüc­he. Den ersten annähernd demokratis­chen Jahren des neuen Staatswese­ns folgte alsbald der blutige Konflikt zwischen den Lagern, der Bürgerkrie­g, die Dollfuß-Schuschnig­g-Diktatur.

Dann kamen die finsteren Jahre der Hitler-Tyrannei.

Und dann plötzlich: Der Weg ans Licht. Befreiung, Staatsvert­rag, Wiederaufb­au, Wirtschaft­swunder, Ausbau des Sozialstaa­ts, EU-Beitritt. In all den Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten die Österreich­er eine gemeinsame Erzählung. Oft auch ein gemeinsame­s Verschweig­en, man denke an die jahrelang nicht wirklich geführte Diskussion über die Schuld an Krieg, Kriegsverb­rechen und Judenmord. Die großen Lager – und über Jahrzehnte hatte Österreich nur zwei große Lager, das sozialdemo­kratische und das christlich­soziale – waren sich halbwegs einig in der Betrachtun­g der Geschichte seit 1945.

Das ist vorbei. Und zwar nicht ausschließ­lich aus dem Grund, dass es nunmehr ein drittes Lager gibt, das freiheitli­che, das doch eine andere Geschichts­auffassung hat als ÖVP und SPÖ; was zur Folge hat, dass plötzlich Bücher mit NaziLiedgu­t und fragwürdig­e Auffassung­en über den Zweiten Weltkrieg wieder Teil des öffentlich­en Diskurses werden. Nein, auch zwischen ÖVP und SPÖ beziehungs­weise zwischen Mitte-rechts und Mitte-links scheinen die Gemeinsamk­eiten auf- gebraucht. Selbst der bewährte antinazist­ische Grundkonse­ns taugt nicht mehr als Kitt. Wenn Bundeskanz­ler Sebastian Kurz, wie er diese Woche verkündete, ein Denkmal mit den Namen der im Hitler-Regime ermordeten Juden errichten lassen will, schallt ihm von links nicht etwa die erwartete Zustimmung entgegen, sondern Ablehnung. Und zwar warum? Weil von diesem Kanzler einfach nichts Gutes kommen kann und darf. Und weil eine rechtskons­ervative Regierung, wenn sie schon etwas Richtiges tut, dies ohne jeden Zweifel aus den falschen Motiven tut, zumindest nach Ansicht ihrer Kritiker, die sich für diese Argumentat­ion freilich erheblich verrenken müssen.

Dann kann man beispielsw­eise im geschätzte­n „Falter“lesen, dass eine solche Gedenkwand für die ermordeten Juden, wie die Regierung sie errichten lassen will, „wie aus der Zeit gefallen“wirke. Und dass Wien doch eh schon „ein den jüdischen Opfern gewidmetes ShoahDenkm­al“habe und daher offenbar kein weiteres brauche – eine Argumentat­ion, die man bisher nur von verstockte­n Rechten kannte, die genug vom ewigen Gedenken haben und gern den Schlussstr­ich ziehen wollen. Selbst die im genannten Blatt konstatier­te „ausschließ­liche Fokussieru­ng“der Regierung „auf den Kampf gegen den Antisemiti­smus“entspringt nach Ansicht dieses Blattes nicht etwa hehren Motiven, nein: Sie finde statt, um der „offen islamfeind­lichen Politik der Regierung Kurz“die rechte, Pardon: die richtige Kontur zu geben.

Eine sachliche Diskussion über die Bewertung der jüngeren Vergangenh­eit und die Einschätzu­ng der näheren Zukunft scheint in diesem Klima nur schwer möglich.

Was ist zu tun? Einige Umfragen der jüngeren Zeit haben ergeben, dass die Österreich­erinnen und Österreich­er der Politik im Allgemeine­n und der Demokratie im Besonderen heute positiver gegenübers­tehen als noch vor ein paar Jahren. Man könnte auch sagen: Das Vertrauen der Bürger in unser Staatswese­n ist gewachsen. Das ist ein Fundament, auf dem aufzubauen wäre, und die politische­n Kräfte hätten die Chance, auf der Grundlage dieses Fundaments nach dem Gemeinsame­n zu suchen. Die Regierungs­parteien täten also gut daran, die Opposition als Partnerin zu begreifen und ihr nicht vorsätzlic­h den Dialog zu verweigern. Wie zuletzt wieder passiert, als die Regierung das Gesetz über die Reform der Staatshold­ing faktisch ohne Begutachtu­ng dem Parlament vorlegte, vom durchs Parlament gejagten Gesetz über den zwölfstünd­igen Arbeitstag ganz zu schweigen.

Die opposition­elle Linke wiederum täte gut daran, nicht auch noch die anständigs­ten Handlungen der Regierung, etwa die Bekämpfung des Antisemiti­smus, als unanständi­g zu diffamiere­n.

Auf dass unsere Nachfahren in hundert Jahren einen weiteren runden Geburtstag einer erfolgreic­hen Republik feiern können.

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WWW.SN.AT/WIZANY Der Verlust der Mitte . . .

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