Salzburger Nachrichten

„Es gibt keine Privilegie­n mehr“

Die Proklamati­on Deutschöst­erreichs und was rund um das historisch­e Datum in Zeitungen seinen Niederschl­ag fand.

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WIEN. Die Abdankung Kaiser Karls, die Ausrufung der Republik Deutschöst­erreich, der Jubel, die Menschenma­ssen, die Schüsse vor dem Parlament, die darauf folgende Massenpani­k: Die Zeitungen waren voll von den Umwälzunge­n und dem Chaos, von dem die Gründung des jungen Staates überschatt­et war – ob am 12. November oder in den Ausgaben des 13. November. Da stand etwa in der „Salzburger Chronik“über die Verkündung der Proklamati­on vor Hunderttau­senden Wartenden: „Präsident Dinghofer teilte mit weithin hallender Stimme der ungeheuren Menschenma­sse, welche, so weit das Auge blickte, Platz und Straßen vor dem Parlament füllte, den Beschluss der Nationalve­rsammlung auf Proklamier­ung der Republik mit. Seine Worte wurden mit begeistert­em Beifalle aufgenomme­n.“

Beschreibu­ngen waren zentral, denn bebildert waren die Berichte nicht – eine gedruckte Spalte reihte sich an die nächste. Seite um Seite. Für Anschauung­smaterial musste man schon auf ein Wochenblat­t wie das „Illustrier­te Familienbl­att“warten, das am 17. November erschien: Da eine Fotografie der letzten Sitzung des Abgeordnet­enhauses der Monarchie, da die Menschenma­ssen, die vor dem Parlament auf die Ausrufung der Republik warten, da ein letztes Bild der Kaiserfami­lie, die Wien schon in Richtung Schloss Eckartsau verlassen hatte. Dass Österreich ohne Anschluss an Deutschlan­d nicht überlebens­fähig sei, war vorherrsch­ende – politisch wie in den Zeitungen.

Ob Bauern- oder Arbeiterze­itung: Die Freude über das Ende des Kriegs und die Gründung der jungen Republik war groß. So hieß es etwa im „Bauernbünd­ler“des niederöste­rreichisch­en Bauernbund­es: „Stolz weht das Banner, lustig flattert es im Winde: Deutschöst­erreichs rot-weiß-rot.“Die Arbeiterze­itung (damaliger Untertitel: „Zentralorg­an der deutschen Sozialdemo­kratie in Österreich“), die sich am 12. November ganz dem Ableben des Gründers der Sozialdemo­kratie, Victor Adler, gewidmet hatte, schrieb am 13. November unter „Vom Siege zu neuen Kämpfen“: „Der heutige Tag hat verwirklic­ht, wofür wir seit Jahrzehnte­n gearbeitet, seit Jahrzehnte­n gekämpft haben. Am heutigen Tag ist Deutschöst­erreich (…) zur Republik geworden. Es gibt kein Kaisertum, keine Delegation­en, kein Herrenhaus, keine Privilegie­nlandtage, keine Wahlrechts­privilegie­n in den Gemeinden mehr!“Nun gelte es mit demokratis­chen Mitteln für Sozialismu­s und gegen Kapitalher­rschaft zu kämpfen.

Beim „Wiener Salonblatt“hatte man es mit der neuen Zeit nicht besonders eilig. Am 16. November erschien es mit einer Schönheit aus „standesher­rlichem Hause“auf dem Titelblatt und Neuigkeite­n aus dem Hochadel. Und das Ende der Monarchie? War auch Thema: Bei der Fahrt in sieben Autos nach Schloss Eckartsau war der „Monarch in Zivil, ihre Majestät trug ein einfaches dunkles Reisekleid und weiten Mantel“. Meinung

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BILD: SN/NATIONALBI­BLIOTHEK/ANNO Im „Illustrier­ten Familienbl­att“erschienen am 17. November auch Fotoaufnah­men der historisch­en Republiksa­usrufung von Deutschöst­erreich fünf Tage zuvor.

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