Pilgerreise
Vor den Gedenkfeiern zum Ende des Ersten Weltkriegs in Paris zog Emmanuel Macron durch die Lande. Er wollte den Opfern Respekt zollen. Und seine sinkende Popularität aufpolieren. Letzteres ging gründlich schief.
Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Eine Woche fern von Paris, dem Elysée-Palast und den tagespolitischen Verpflichtungen, hatte sich Emmanuel Macron vorgenommen. Eine Woche, die am vergangenen Sonntag, mit einem gemeinsam mit dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier besuchten Konzert in Straßburg begann und die morgen, Sonntag, beim Gedenken an den Waffenstillstand zum Ende des Ersten Weltkriegs am 11. November 1918 in einem Friedensforum gipfeln wird, zu dem sich rund 60 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt sowie Repräsentanten von europäischen und internationalen Organisationen am Triumphbogen in der französischen Hauptstadt versammeln werden. US-Präsident Donald Trump wird ebenso erwartet wie Kremlherrscher Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Eröffnet wird das Gedenken von Gastgeber Macron, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und UNO-Generalsekretär António Guterres.
Zwischen diesen beiden Sonntagen hat der französische Präsident eine Rundreise zu den Stätten absolviert, an denen sich zwischen 1914 und 1918 die Schlachten zutrugen und noch heute Spuren des blutigen Gemetzels mit Millionen Toten sichtbar sind – zwei Regionen, elf Departements und zwanzig Orte in sechs Tagen. Ihnen wollte Macron mit seiner von den Medien „Pilgerreise der Erinnerung“genannten Tour zeigen, dass sie nach den Zerstörungen des Ersten Weltkriegs nicht ein zweites Mal Opfer von Zerstörungen sein würden, diesmal als Leidtragende industrieller Verwerfungen und sozialer Krisen in der Folge von Strukturwandel und Jobverlusten. Die wöchentliche Sitzung des Ministerrats wurde in das 300 Kilometer von Paris entfernte Charleville-Mézières in den Ardennen verlegt: „Seht her, ihr seid nicht vergessen!“Doch die Botschaft kam kaum an. Statt eines Bads in der Menge, wie es sich Macron wohl vorgestellt hatte, wurden ihm vom ersten Tag an zornige Proteste zuteil. Ob in Verdun oder Reims, überall machten die Menschen ihrem Unmut über wachsende Abgabenlast, höhere Steuern und steigende Energiekosten Luft.
Zwar hatte die Regierung vor Monaten beschlossen, bestimmte Sozialabgaben zu senken. Doch das kommt Mietern oder Beziehern kleiner Einkommen nur wenig zugute. Nachdem die Regierung auch noch aus Gründen des Klimaschutzes die Steuer auf Treibstoffe erhöht hatte, sah sich Macron neuen Protesten ausgesetzt. „Spüren Sie den Zorn?“, fragte ihn ein Demonstrant. „Am 17. November werden Sie ihn richtig spüren.“An diesem Tag sind Frankreichs Autofahrer aufgerufen, landesweit aus Protest gegen hohe Spritpreise Straßen und Autobahnen zu blockieren.
Dabei hatte der Präsident gehofft, mit einer gelungenen „Pilgerfahrt der Erinnerung“, was bei den Franzosen grundsätzlich immer gut ankommt, seine auf einen Tiefstand Hans-Hagen Bremer berichtet für die SN aus Paris gesunkene Popularität wieder aufzupolieren. Nur noch knapp 30 Prozent der Bevölkerung haben laut jüngsten Umfragen ein positives Bild von ihm. Der Ruf eines „Präsidenten der Reichen“haftet ihm an.
Die Rundreise durch den Osten und Norden des Landes, der für populistische oder nationalistische Versuchungen à la Jean-Marie Le Pen anfälliger ist als andere Regionen, hat ihm offenbar wenig genützt. „Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, das historische Gedenken mit politischen Zielen zu verbinden“, meinte die Publizistin Michèle Cotta.
Für den Präsidenten ist dieser Reinfall umso misslicher, als er sich auch noch wegen einer Bemerkung über Marschall Philippe Pétain, den Sieger von Verdun und späteren Chef des mit den Nazis kollaborierenden Regimes von Vichy, einer Welle polemischer Angriffe erwehren musste. Er hatte Pétain, der nicht zu den Offizieren gehört, deren heute, Samstag, in Paris vom Generalstabschef der Streitkräfte gedacht wird, einen „großen Soldaten“genannt, bevor er sich „für einen unheilvollen Weg“entschieden habe. Dabei hatte Macron nichts anderes gesagt als Charles de Gaulle und andere Präsidenten: „Ich vergebe nichts, aber ich radiere auch nichts aus der Geschichte aus.“