Dicke Bücher empfehlen nur Großkotze
Über die Frage, was man lesen sollte (wenn überhaupt).
Über die Bedeutung des Lesens als Wegbereiter der Freiheit schrieb ich andernorts in dieser Zeitung. Danach kamen sehr freundliche Mails und eines, wegen dem ich Ordnungen infrage stellte. Herr Herwig G. wollte wissen, was ich empfehlen tät’, so als Muss-Lektüre. Lolinger muss jetzt im vierten Gym Horváths „Jugend ohne Gott“lesen. Ich dachte, das wäre schon abgeschafft. Ich hatte es auch lesen müssen. Und noch zwei Parallelen: Lolinger begann, Freude am Buch zu entwickeln, als von einer Rauferei berichtet wurde, und auch der Tod Horváths – bei Gewitter von einem Ast erschlagen – steigerte ihr Interesse. Es hat etwas Tröstliches, dass sich manche Dinge nicht ändern. Manchmal kommt mir aber verwegen der Gedanke, dass solcher Stillstand im Bildungssystem und Lesekanon nicht ganz so günstig sein könnte. Aber ich tu’ ja auch mit. Wahrscheinlich hätte Leser Herwig K. nämlich gern einen aktuellen Tipp gehabt. Ich antworte bei Buchtipp-Fragen seit 30 Jahren aber reflexartig dasselbe: „Moby Dick“. Manchmal sage ich noch: „Bibel“. Weil, auch wenn sonst das mit der Religion und ihrer praktischen Anwendung zwischen Altar und Terroranschlag ein Problem sein mag, literarisch ist das Christliche in seiner schriftlichen Grundlage anderen Religionen himmelweit überlegen. Da geht’s nicht um spirituelle Qualität, sondern rein ums Erzählerische. Die Wunderheiler-Story vom Lazarus, die Himmelfahrt, die Action bei Abraham und das Katastrophenszenario bei Moses – das sind schon sehr lässige Geschichten. „Moby Dick“und Bibel – beides ist ehrlich gemeint und klingt dazu auch noch bedeutend. Ich fürchte, immer wenn ich diese All-Time-Favoriten nenne, dass mir Überheblichkeit unterstellt werden könnte. Die Jagd nach dem Wal und der Weg bis Golgota sind halt dicke, gewichtige Bücher. Ich mag, sag ich also schnell dazu, auch kleine Formen. Zum Beispiel die Kolumnen vom Kollegen Martenstein. Die empfehle ich auch gern. Diese Kolumnen sind ein Quell der Hintergründigkeit in plärrenden Zeiten. Und eben genau dort wurde ich nun auf ein schmales Büchlein aufmerksam. Schmale Bücher zu empfehlen hat nichts Protziges, nichts Belehrendes, denke ich. Schmale, aber schlaue Bücher zu empfehlen, ist unverdächtig, unaufdringlicher als sich und seine Lesekompetenz mit Herman Melville, Lukas, Matthäus und Markus zu schmücken. Dieses neue Büchlein macht sich gut in einer ganzen Reihe schmaler Bücher, die ich beim Tippgeben leider immer übersehe. Da steht etwa „Lob des Fahrrades“, „Vom Gehen im Eis“oder auch „Die kleine Philosophie der Passionen“. Zu den Passionen passt auch das neue kleine Büchlein: „Einfach liegen lassen – Das kleine Buch vom effektiven Arbeiten durch gezieltes Nichtstun“heißt es. John Perry hat es schon vor ein paar Jahren geschrieben. Er ist Philosoph und keiner aus der Flut der Ratgeber-Herunterschreiber, die ihr psychologisches Teilwissen vermehren. Grob gesagt, wird in Perrys Büchlein erklärt, wie und warum wir unser Leben besser ordnen könnten. Es steht also durchaus in einer großen biblischen Tradition. Was es mit „Moby Dick“zu tun haben kann, muss ich erst noch nachlesen.