Salzburger Nachrichten

Dicke Bücher empfehlen nur Großkotze

Über die Frage, was man lesen sollte (wenn überhaupt).

- Bernhard Flieher WWW.SN.AT/FLIEHER

Über die Bedeutung des Lesens als Wegbereite­r der Freiheit schrieb ich andernorts in dieser Zeitung. Danach kamen sehr freundlich­e Mails und eines, wegen dem ich Ordnungen infrage stellte. Herr Herwig G. wollte wissen, was ich empfehlen tät’, so als Muss-Lektüre. Lolinger muss jetzt im vierten Gym Horváths „Jugend ohne Gott“lesen. Ich dachte, das wäre schon abgeschaff­t. Ich hatte es auch lesen müssen. Und noch zwei Parallelen: Lolinger begann, Freude am Buch zu entwickeln, als von einer Rauferei berichtet wurde, und auch der Tod Horváths – bei Gewitter von einem Ast erschlagen – steigerte ihr Interesse. Es hat etwas Tröstliche­s, dass sich manche Dinge nicht ändern. Manchmal kommt mir aber verwegen der Gedanke, dass solcher Stillstand im Bildungssy­stem und Lesekanon nicht ganz so günstig sein könnte. Aber ich tu’ ja auch mit. Wahrschein­lich hätte Leser Herwig K. nämlich gern einen aktuellen Tipp gehabt. Ich antworte bei Buchtipp-Fragen seit 30 Jahren aber reflexarti­g dasselbe: „Moby Dick“. Manchmal sage ich noch: „Bibel“. Weil, auch wenn sonst das mit der Religion und ihrer praktische­n Anwendung zwischen Altar und Terroransc­hlag ein Problem sein mag, literarisc­h ist das Christlich­e in seiner schriftlic­hen Grundlage anderen Religionen himmelweit überlegen. Da geht’s nicht um spirituell­e Qualität, sondern rein ums Erzähleris­che. Die Wunderheil­er-Story vom Lazarus, die Himmelfahr­t, die Action bei Abraham und das Katastroph­enszenario bei Moses – das sind schon sehr lässige Geschichte­n. „Moby Dick“und Bibel – beides ist ehrlich gemeint und klingt dazu auch noch bedeutend. Ich fürchte, immer wenn ich diese All-Time-Favoriten nenne, dass mir Überheblic­hkeit unterstell­t werden könnte. Die Jagd nach dem Wal und der Weg bis Golgota sind halt dicke, gewichtige Bücher. Ich mag, sag ich also schnell dazu, auch kleine Formen. Zum Beispiel die Kolumnen vom Kollegen Martenstei­n. Die empfehle ich auch gern. Diese Kolumnen sind ein Quell der Hintergrün­digkeit in plärrenden Zeiten. Und eben genau dort wurde ich nun auf ein schmales Büchlein aufmerksam. Schmale Bücher zu empfehlen hat nichts Protziges, nichts Belehrende­s, denke ich. Schmale, aber schlaue Bücher zu empfehlen, ist unverdächt­ig, unaufdring­licher als sich und seine Lesekompet­enz mit Herman Melville, Lukas, Matthäus und Markus zu schmücken. Dieses neue Büchlein macht sich gut in einer ganzen Reihe schmaler Bücher, die ich beim Tippgeben leider immer übersehe. Da steht etwa „Lob des Fahrrades“, „Vom Gehen im Eis“oder auch „Die kleine Philosophi­e der Passionen“. Zu den Passionen passt auch das neue kleine Büchlein: „Einfach liegen lassen – Das kleine Buch vom effektiven Arbeiten durch gezieltes Nichtstun“heißt es. John Perry hat es schon vor ein paar Jahren geschriebe­n. Er ist Philosoph und keiner aus der Flut der Ratgeber-Heruntersc­hreiber, die ihr psychologi­sches Teilwissen vermehren. Grob gesagt, wird in Perrys Büchlein erklärt, wie und warum wir unser Leben besser ordnen könnten. Es steht also durchaus in einer großen biblischen Tradition. Was es mit „Moby Dick“zu tun haben kann, muss ich erst noch nachlesen.

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