Gabis Gespür für Brot
Zu Gast in der „Knödleria“von Untermayrhof. Der Knödel ist ein Überlebenskünstler. Aber gegen den Strom schwimmt er nicht.
Schon bei der Anreise stellt sich ein angenehmer Ruhepuls ein. Wir fahren an Obertrum vorbei und biegen gemächlich bei Außerleiten rechts ab. Von nun an geht’s bedächtig bergauf und bergab. Bei Haasgrub hätten wir uns nicht gewundert, wenn hinter der Hügelkuppe ein Komantschen-Lager aufgetaucht wäre. Aber dann steht es da: Das Gasthaus Mayrhof – das sich erstaunlicherweise in Untermayrhof befindet. Heute gibt es nicht mehr viele Orte wie diese. Hier frisst der Fuchs den Hasen allein schon deshalb nicht, weil er sonst allein wäre. Unser Puls hat jetzt Genuss-Geschwindigkeit. Kein Wunder, dass sich hier seit Jahren immer mehr Menschen treffen, für die Genuss eine runde Angelegenheit ist: ein Knödel eben. Hier gibt es die wohl kreativste Knödelküche Österreichs. Sogar Innviertler, die strengen Hüter des KnödelGrals, zieht es regelmäßig über die Landesgrenze. Mehr Kompliment geht gar nicht. Wie sie darauf kam? „Ohne diese Idee gäbe es den Gasthof gar nicht mehr“, sagt die Gastgeberin Gabriele Dürager. Für ein „normales“Wirtshaus würde sich niemand auf den Weg in das Outback des Flachgaus machen. Und seit sie viele Knödelspezialitäten auf der Karte hat, strömen die Gäste aus allen Himmelsrichtungen herbei. Um sich ein Bild machen zu können: Gabriele produziert nicht nur Grammel-, Surspeck-, Hascheeund Blutwurstknödel. Sie ertüftelte auch Erdäpfelknödel mit Bratenfleischfülle und sogar mit Räucherfischfülle, die von Lauchgemüse und Oberskren begleitet werden. Semmelknödel füllt sie mit Speck, faschierten Weißwürsten und Debrezinern.
Besonders am Herzen scheinen Gabriele aber ihre vegetarischen Kostbarkeiten zu liegen. Mit ihren Radicchio-Parmesan-Knödeln mit Olivenöl und Parmesan bringt sie Italien kugelweise auf den Tisch. In Anlehnung an unsere Mozartkugeln sollte man sie Verdikugeln taufen. Oder Spinatknödel mit Bergkäse und Olivenöl und vor allem ihre Paradeiserknödel, für die sie Tomaten und Blauschimmelkäse zermatscht, kocht und auf Blattspinat anrichtet (siehe Rezept). Auf dieses Rezept sei sie gestoßen, als ein paar Tomaten „ein bisserl patzig“waren, erinnert sie sich. Die Patzigen seien auch am besten für Knödel geeignet. Knödel waren immer schon ein Spiegelblid der jeweiligen Regionen. Wo es viel Gemüse gibt – etwa im Flachgau – bieten sich etwa Knödel aus Rohnen, Kren und Oberskren an. Solche hat Gabriele auch auf der Karte.
In Frankreich widmet man sich der Zubereitung von Knödeln mit Raffinesse. Dort heißen sie Quenelles und werden zumeist pochiert als Beilage oder als Vorspeise angeboten. Was die Quenelles von unseren Knödeln abhebt, das ist der Teig. Er besteht zumeist aus Mehl oder Grieß mit Rahm, Paniermehl und Ei und fein passierten Zutaten. Bekannt sind Quenelles de brochet (mit passiertem Hecht), Quenelles de volaille (Geflügel) und Quenelles de veau (Fleisch).
Das wichtigste bei der Knödelproduktion ist aber die Demut vor guten Lebensmitteln. Die Zubereitung ist weltweit ein Hochamt der würdevollen Resteverwertung. Man lernt dabei, dass man hartes Brot keinesfalls weg wirft – sondern veredelt.
Der Knödel ist mehr als ein Gericht. Er ist ein Überlebenskünstler. Das weiß auch der Neurophysiker Werner Gruber. Er erklärt uns, warum der Knödel im Kochtopf zu schwimmen beginnt: „Das Wasser wird ja von unten erwärmt“, sagt der gebürtige Innviertler. „Das heißt, es wird unten früher wärmer als oben. Warmes Wasser steigt nach oben. Allerdings muss das warme am kalten vorbei – und umgekehrt. Damit sie sich nicht im Weg stehen, gibt es eine Einbahnregel: Das warme Wasser steigt in der Mitte nach oben, das kalte sinkt am Rand nach unten. Warum das so gut funktioniert, das liegt daran, dass warmes Wasser an der Wand leichter auskühlen würde. Im Inneren ist dies nicht der Fall.“
Dieses Einbahnsystem wird in der Physik Konvektion genannt. Durch diese Bewegung vermengen sich kalte und warme Bereiche und nur deshalb treibt es die Knödel an den Rand des Topfs. Da es die Vermengung von Flüssigkeiten im Weltraum nicht gibt, kann man im Weltall keine Knödel genießen.
Das könnte natürlich auch der Grund sein, warum Gabriele ihr idyllisches Untermayrhof nicht so gern verlässt.