Neue Realitäten
Ich lerne von dieser Regierung. Jeden Tag. Zum Beispiel, dass es absurd ist, sich an Obergrenzen zu halten, wenn damit nicht Menschen gemeint sind, sondern Steuergeld. Grenzen sind immer dafür da, sie auszuloten. Sonst gäbe es Stillstand und Amerika wäre niemals entdeckt worden. Trump säße noch immer im pfälzischen Kallstadt und würde damit angeben, die größten Portionen Saumagen zu essen, hätte sich Kolumbus nicht irgendwann entschlossen, die Grenzen der Scheibe, die die Erde damals war und für Trump irgendwie heute noch ist, auszuloten, sodass Trumps Großeltern ein Ziel hatten, wohin sie auswandern konnten. Übrigens aus den gleichen Beweggründen, aus denen sich heute so viele Menschen aus Mittelamerika gen Norden aufmachen. Wirtschaftsflüchtlinge waren Trumps Großeltern, so wie die Vorfahren von Strache einst aus Tschechien kamen und die Großmutter von Sebastian Kurz aus Serbien. Das ist normal, dass man ein besseres Leben sucht. Ganz normal. Und ich bin froh, dass Sebastian nicht damals schon die Balkanroute geschlossen hat. Nicht so normal ist es, ein dreijähriges Kind, dessen Eltern armenische Iraner sind, aus einem Kreißsaal heraus abzuschieben, wo die schwangere Mutter des Buben liegt, weil sie Gefahr läuft, eine Frühgeburt zu haben. Dass da Polizisten hineinstürmen und den Buben der bettlägrigen, schwangeren Mutter entreißen, um ihn abzuschieben, das ist nicht normal, sondern offensichtlich ein Fall von Charakteraids. Wer immer so etwas beschließt, hat ein Loch an der Stelle, wo normale Menschen ihr Empathiezentrum haben.
Aber zurück zu dem, was ich gerne von der Regierung lerne. Von Kurz, Strache und Kickl habe ich gelernt, dass man natürlich viel mehr Geld ausgeben kann, als man darf. Denn Obergrenzen für Wahlkampfausgaben sind nicht zielführend. Ja, natürlich war es Steuergeld, das da millionenfach gegen bestehende Gesetze zusätzlich ausgegeben worden ist, aber schließlich war man damit erfolgreich und Erfolg heiligt jedes Mittel. Und Kickl hat natürlich recht, wenn er sagt, das Geld sei ja nicht verbrannt worden, sondern in Umlauf gebracht worden. Ein Satz, den man von Bankräubern vor Gericht auch vielleicht manchmal hört. „Ich hab das Geld ja ausgegeben und damit der Wirtschaft einen Dienst erwiesen!“Die Frage ist nur, wie der Satz vor Gericht ankommt. Sagt dann die Richterin: „Ach ja, klar. Das stimmt. Ich spreche sie frei!“Ich habe nicht Jus studiert, da bin ich nackt wie der Kanzler, Strache und Kickl. Wir alle sind keine Fachjuristen, wie sollten wir so etwas also beurteilen können. Ich habe jedenfalls meine Honorarrechnung an den ORF und die SN an die neuen Realitäten angepasst und verdoppelt. „Weniger Honorar halte ich für sinnlos“, habe ich im Post Scriptum geschrieben. Ich bin sehr gespannt, wie viel mir überwiesen wird. Man muss aber auch einfach sagen, dass der Wahlkampf der Türkisen, formerly known as ÖVP, wirklich großartig war. Und so günstig, wie es eben ging. Allein der Slogan: Es wird Zeit. Toll. Und wenn man damals die Wahrheit geschrieben hätte: Es wird teuer, dann hätte man pro Plakat einen Buchstaben mehr benötigt. Dann wäre es richtig teuer geworden. Also: Wir lernen. Alles richtig gemacht. Und so günstig wird man es nicht oft schaffen, einen blutjungen Studienabbrecher mit serbischen Wurzeln zum Bundeskanzler zu werben. Dirk Stermann