FILM
Der Film „Angelo“schildert, wie ein schwarzer Mann im Wien des 18. Jahrhunderts angeschaut wurde.
Der Film „Angelo“schildert, wie ein schwarzer Mann im Wien des 18. Jahrhunderts angeschaut wurde.
WIEN. Als Kind wurde er geraubt, als Sklave nach Europa gebracht und auf den Namen „Angelo“getauft. Später wurde Angelo Soliman dem Fürsten von Lobkowitz geschenkt, wurde in Wien Kammerdiener, Prinzenerzieher, Freimaurer, heiratete und bekam eine Tochter. Und, entsetzlichstes Detail einer bewegten Biografie, nach seinem Tod wurde sein Leichnam präpariert und im Naturhistorischen Museum ausgestellt: Der berühmteste schwarze Österreicher Angelo Soliman war Zeit seines Lebens Projektionsfläche für weiße Fantasien. Regisseur Markus Schleinzer setzt die Perspektive in seinem Film „Angelo“fort – denn es sei die aufrichtigere: „Ich behaupte gar nicht erst, mich in ihn hineinversetzen zu können.“ SN: Nach Ihrem Spielfilmerstling „Michael“, was hat Sie auf Soliman als Filmfigur gebracht? Markus Schleinzer: Es gab vor einigen Jahren im Wien Museum eine Ausstellung, „Angelo Soliman. Ein Afrikaner in Wien“. Ich habe mir den Katalog gekauft und gemerkt: Dieser Herr Soliman, das ist mein nächster Film. Natürlich gibt es hundert Geschichten, die man da erzählen kann über Diaspora und schwarze Menschen in Österreich, aber mich hat vorrangig Soliman interessiert, auch weil es spannend ist, dass es so wenig gibt über ihn. SN: Auf welches Material konnten Sie sich stützen? Wirklich empirisch taucht er erst in seiner zweiten Lebenshälfte auf, das erste Mal in den Wirtschaftsbüchern des Hauses Lichtenstein, aus denen man erlesen kann, welche Kleidungsstücke sie ihm in welchem Jahr haben anfertigen lassen. Dann ist seine Heiratsurkunde erhalten, auf der er neben seinen Namen auf Lateinisch „der kein Sklave ist“dazugeschrieben hat.
Sehr dicht dokumentiert sind nach seinem Ableben die Eingaben der Tochter und der Kirche, die gefordert haben, seine Haut und Knochen wiederzubekommen, um ihn bestatten zu können. Und dann gibt es bald nach seinem Tod eine erste Biografie, die aber verschweigt, was nach seinem Tod geschehen ist. SN: Dieses letzte Kapitel seines Daseins als Museumspräparat schildert Ihr Film ausführlich. Warum ist das so wichtig? Das ist die letzte Viertelstunde des Films, und ich finde, das darf man nicht weglassen. Über den Lebensabend des Herrn Soliman weiß man nur, dass er auf der Freyung gewohnt hat mit seiner Tochter. Es heißt, er sei bei den Freimaurern gewesen, und es wird auch behauptet, er sei ein Freund von Mozart gewesen. Man kann sich natürlich begegnet sein, die Stadt war klein, aber ich wollte keine Kaffeehausszene erfinden, „Ja grüß dich, Mozart, tust du grad was komponieren?“
Wir haben in Österreich oft eine Tendenz, alles Historische in eine Süßlichkeit zu ziehen. Was mir wichtig war: Ich schaue dem ausgestopften Mann nicht in einer Nahaufnahme ins Gesicht, das hätte ich despektierlich gefunden. Verstecken wäre albern, aber die Großaufnahme bekommt er nicht. SN: Was nach seinem Tod mit ihm passiert, treibt eigentlich auf die Spitze, was sein ganzes Leben geschehen ist: Dass er Projektionsfläche europäischer Fantasien war. Absolut, er wird am Ende seines Lebens reduziert auf etwas, was er ja nie war, das Wilde, das Barbarische, eine Fantasiefigur. Auf dem Kasten mit seinem Präparat stand tatsächlich, „Erster Vertreter des Menschengeschlechts“. Auch wenn das jetzt zynisch klingen mag: Es ist mir logisch, dass das mit ihm passiert ist, weil er ja sein ganzes Leben im Schaukasten gestanden ist. Er hat zwar etwas aus seinem Leben gemacht, aber den Raum, in dem er sich bewegen konnte, hat die Gesellschaft abgesteckt. Ich glaub nicht, dass er so frei war, wie manche glauben möchten. SN: Sein eigenes Erleben ist nicht im Vordergrund, es geht um den Blick anderer auf ihn. Setzen Sie mit dieser Perspektive nicht ein Unrecht fort? Es ist für mich als Mitglied dieser Gesellschaft ehrlicher, den Film aus diesem Blickwinkel zu machen, als zu versuchen, mich in ihn hineinzuversetzen. Das fände ich absurd. Wenn sich ein Filmemacher mit seiner Hauptfigur gleichsetzt, kann das funktionieren, aber oft finde ich das schwierig.
Ich behaupte gar nicht erst, das zu können, dadurch ist der Film viel härter. Ich glaube, sonst wäre es ein sentimentaler Film geworden, und das ist wenig Erkenntnisgewinn. Wenn man am Schluss sagen kann, „Uff, ich mach solche Sachen auch, und es fällt mir gar nicht auf“– das ist viel stärker.
Angelo. Österreich/Luxemburg 2018. Regie: Markus Schleinzer. Mit Makita Samba, Alba Rohrwacher. Start: 9. 11.