ERDÖL
Man kann Erdöl sehr viel klüger verwenden als es zu verbrennen, sagt OMV-Vorstandschef Rainer Seele. Gas aus Russland habe den Vorteil, dass man es über Pipelines nach Europa bringen kann. Und es sei billiger als US-Flüssiggas.
OMV-Chef Rainer Seele sagt im SN-Interview, dass Erdöl sehr viel klüger verwendet werden könnte, als es zu verbrennen.
SN: Sie haben dieser Tage die Gaslieferung von Gazprom vertraglich noch einmal erhöht. Vielen macht die Abhängigkeit von russischem Gas Sorgen. Ihnen offenbar nicht? Rainer Seele: Nein, wir haben dieses Jahr fünfzig Jahre Gaslieferungen aus Russland gefeiert, in denen sich Russland als verlässlicher Partner erwiesen hat. Wir haben diese Partnerschaft bis 2040 besiegelt und zusätzliche Mengen unter Vertrag genommen, weil wir von einer höheren Importnachfrage nach Erdgas ausgehen. Dabei ist die preisliche Attraktivität ein Kriterium. Diversifizierung ist wichtig, aber andere Quellen müssen auch wettbewerbsfähig sein. Denn unsere Kunden sind nicht bereit, höhere Preise für Gas zu bezahlen, nur weil es aus einem bestimmten Land kommt. SN: Das heißt, das viel diskutierte Flüssiggas aus den USA ist keine echte Alternative? Gas aus den USA ist etwa ein Drittel teurer als das aus Russland, das ist eine substanzielle Größenordnung. Und zweitens sind die Produzenten aus den USA nicht bereit, eine europäische Preisformel zu akzeptieren. SN: Also ist US-Flüssiggas vorderhand keine Option? Wir sind bereit, Gas aus den USA zu kaufen, wenn der Preis stimmt. SN: Führt bei der Energieversorgung Europas an Russland also gar kein Weg vorbei? Wir haben bei den Gaslieferungen in Europa einen Anteil von knapp 30 Prozent an russischem Gas. Wir sollten aber nicht immer nur über Russland diskutieren. Wir haben einen hohen Anteil von Gas aus Norwegen. Darüber wird interessanterweise nie diskutiert. SN: Vielleicht auch, weil die Länder politisch anders eingeschätzt werden? Ja, aber aus Sicht des Importeurs ist das Gas in beiden Fällen verlässlich angekommen. Die größten Sorgen machen wir uns derzeit eher über Gaslieferungen aus Nordafrika, weil dort die politische Stabilität tatsächlich eine völlig andere ist. SN: Umstritten ist auch Nord Stream 2, die Erdgaspipeline, an der die OMV beteiligt ist. Was sagen Sie zur Kritik? Wir investieren mit Nord Stream 2 in die Diversifizierung der Erdgasimporte, insbesondere nach Österreich. Ich sehe das auch unter dem Gedanken des Wettbewerbs, dem müssen sich auch Transitländer stellen. Da geht es nicht nur um den Preis, sondern um die Qualität der Transitleistung. Unsere Sorge als OMV, die das Gas aus Russland fast ausschließlich über die Ukraine bekommt, sind die fehlenden Investitionen in die Erhaltung der Pipeline. Das sehen wir an starken Druckschwankungen, es gibt auch Unfälle. Das diskutieren wir seit einer Dekade, aber in der Ukraine ist nichts passiert. Es gibt kaum Investoren, die Geld für die Erhaltung oder zusätzliche Kapazitäten bereitstellen, noch sehen wir, dass die Ukraine die hohen Einnahmen aus dem Gastransport dafür verwendet. SN: OMV ist ein großer Kunde von Gazprom, aber Sie fühlen sich nicht von ihr abhängig? Ich rede nicht von Abhängigkeit, wir haben eine kommerzielle Partnerschaft, die auf Gegenseitigkeit beruht. Wir brauchen das Gas aus Russland, und Russland braucht unseren Euro – dringender denn je. SN: Wie sieht der Aktionär IPIC aus Abu Dhabi den starken Fokus der OMV auf Russland? Erstens stimme ich Ihnen nicht zu, dass wir einen starken Fokus auf Russland haben. Wir haben heuer zwei Ölfelder in Abu Dhabi unter Vertrag genommen. Wenn wir das Engagement mit Borealis (OMVChemietochter, Anm.) dazuzählen, haben wir in Abu Dhabi mehr Kapital eingesetzt als in Russland. Der Fokus der OMV liegt jetzt eigentlich im Mittleren Osten und in Asien. Beide Aktionäre (IPIC und Republik, Anm.) unterstützen diese Strategie. SN: Die Republik will ihre Unternehmensbeteiligung mit der ÖBAG künftig aktiver verwalten. Fürchten Sie mehr Einfluss der Politik auf OMV? Ich sehe das eigentlich positiv. Das neue Modell ermöglicht einen direkten Dialog mit der Regierung über deren Interessen. Wenn ich die Erfolgsgeschichte der OMV in den letzten zwei, drei Jahren Revue passieren lasse, muss ich sagen, die wurde auch wesentlich dadurch erreicht, dass wir die Unterstützung der Regierung hatten. Die OMV befindet sich in einem politischen Geschäft. Ich gehe aber davon aus, dass das operative Geschäft überhaupt nicht betroffen ist, das ist durch das Aktienrecht klar geregelt. SN: Sie sagen, ein Öl- und Gaskonzern wie die OMV betreibt ein politisches Geschäft. Auch der Ölpreis ist politisch getrieben, aktuell vielleicht sogar stärker als sonst. Wie geht es aus Ihrer Sicht weiter? Der Ölpreis wird im Handel zunehmend durch geopolitische Risiken bestimmt. Die Sanktionspolitik der USA haben ihn auf ein Niveau von 80 Dollar gebracht. Dazu kommen die Konflikte im Jemen und in Syrien. Die Frage ist auch, ob der Konflikt zwischen den USA und China zu einer Abkühlung der Konjunktur und damit schwächeren Ölnachfrage führt. Das müssen wir abwarten. SN: Auf die Geopolitik hat man als Unternehmen keinen Einfluss. Wie kann man sich gegen diese Risiken wappnen? Das Portfolio wird geografisch breiter. Dazu kommt die integrierte Kooperation wie in Russland. Dort investieren wir in die Produktion, haben aber auch Abnahmeverträge, das bringt einen Risikoausgleich. Und intern haben wir den Ausgleich der Investitionen in die Förderung mit dem Geschäft der Veredelung von Öl und Gas. Da liegt unser Hauptgeschäft ausschließlich in sicheren Regionen, nur in Europa. Das ist unser Hauptmarkt, unsere Kunden sind zu mehr als 80 Prozent in Europa und zahlungstreu. SN: Alles spricht von der Elektrifizierung der Wirtschaft. Regierungsvertreter sagten diese Woche, Österreich gehe den Weg in eine erdölfreie Gesellschaft. Wie schätzen Sie solche Aussagen ein? Eine erdölfreie Gesellschaft kann ich mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen. Denn Erdöl ist ein wesentlicher Rohstoff für die chemische Industrie und wird es auch bleiben. Der ganze Raum hier ist voll mit Erdöl als Vorprodukt. Darauf stellen wir uns bei der OMV ein. In Österreich wären wir auch nicht gut beraten, einen solchen Rückschritt zu machen, dass wir auf die hochtechnologischen Produkte, die wir aus dem Erdöl durch chemische Verfahren herstellen, verzichten sollten. Schon das ist eine weitere Existenzberechtigung für die Erdölindustrie. Zum anderen werden wir Erdölprodukte auch im Zeitalter der EMobilität brauchen. Ich gehe davon aus, dass wir nicht auf Beton-, sondern auf Asphaltstraßen fahren werden, egal mit welchem Antrieb. Wir erwarten auch Anstiege beim Treibstoff für Flugturbinen. Wenn wir sagen, wir fassen Erdöl allein aus ökologischen Gründen nicht mehr an, dann begehen wir einen enorm großen Fehler. Unseren Mitarbeitern in der Raffinerie Schwechat sage ich mit aller Deutlichkeit, dass sie einen guten und nachhaltig sicheren Arbeitsplatz haben. SN: Das Credo „Raus aus dem Öl“stimmt also so nicht? Wir müssen in den Aussagen differenzierter werden. Beim Heizen sehen wir ja jetzt schon den Trend weg vom Heizöl. Aber auf Öl als Grundstoff wird die chemische Industrie nicht verzichten können. SN: Entwickelt sich die OMV zu einem Chemiekonzern? Bei bestimmten Produkten aus unseren Raffinerien – bei Treibstoffen und Heizöl – ist der Bedarf längerfristig rückläufig. Unsere Antwort darauf ist, dass wir uns mehr auf Kerosin, also Flugbenzin, und auf Petrochemie ausrichten. Der Beitrag der OMV ist, dass wir Rohöl weniger verbrennen und dafür mehr veredeln, wir investieren eher in die Wertschöpfungskette der Chemie.
Rainer Seele (*1960) begann nach Abschluss seines Chemiestudiums in der Forschung von BASF und machte dann Karriere beim deutschen Ölund Gaskonzern Wintershall, den er von 2009 bis 2015 führte. Seit Juli 2015 ist Seele Vorstandschef der OMV, die er strategisch neu positionierte.