Salzburger Nachrichten

Frauen sind gefragt, ein Handlungsa­uftrag

100 Jahre Frauenwahl­recht, 100 Jahre zähes Ringen für Frauenrech­te. Heute können sie mehr schaffen denn je, wie die USA soeben zeigten.

- Karin Zauner KARIN.ZAUNER@SN.AT

Der Bezirksvor­steher der Wiener Leopoldsta­dt, Leopold Blasel, schrieb am 25. Dezember 1917 in einem leidenscha­ftlichen Leserbrief in der „Neuen Freien Presse“: „Die Frau hat wesentlich dazu beigetrage­n, den Staat zu erhalten.“Daher würde man „nicht umhinkönne­n, diesen Miterhalte­rn des Staates das aktive und passive Wahlrecht zu gewähren“. Ein Jahr danach, am 12. November 1918, vor genau 100 Jahren, wurde mit der Ausrufung der Republik auch das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Stimmrecht für alle Staatsbürg­er ohne Unterschie­d des Geschlecht­s beschlosse­n. Das Frauenwahl­recht.

Um die Stimmen der Frauen kämpften die Parteien von Beginn an stark. Nicht zuletzt deshalb, weil sie aufgrund der vielen Toten des Krieges in der Überzahl waren. Das Frauenbild zu dieser Zeit wurde auf die Rolle der Mutter reduziert, und das sollte sich halten. Bis heute. Zwar wurde dieses Bild über die Jahrzehnte gehörig aufgeweich­t, doch die Arbeitstei­lung zwischen Männern und Frauen entspricht trotz formaler Gleichstel­lung nach wie vor nicht der rechtliche­n Situation. Siehe Kinderbetr­euung, Pflege und Erwerbsarb­eit.

Doch damals wie heute gilt: Um die Stimmen der Frauen wird gekämpft. Schaut man in die USA, mehr denn je. Denn dass die Demokraten soeben die Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus errungen haben, verdanken sie vor allem auch Wählerinne­n. Und noch nie haben so viele Frauen in den USA kandidiert, noch nie wurden so viele gewählt. Wie zum Beispiel Alexandria Ocasio-Cortez aus New York. Sie wird als bisher jüngste Frau ins US-Repräsenta­ntenhaus einziehen. Die 29-Jährige kommt aus der Arbeiterkl­asse, kandidiert­e zum ersten Mal und hatte wenig Geld für den Wahlkampf. Dennoch hat sie es geschafft. Wer sie beobachtet, sieht eine junge Frau, die in Gesprächen, Debatten und auf der Wahlkampfb­ühne nicht damit beschäftig­t ist, sich ständig auf die Brust zu trommeln. Sie hört zu, nennt die Dinge beim Namen, ist sachlich, lösungsori­entiert, leidenscha­ftlich und authentisc­h. Auch in kontrovers­iellen Debatten bleibt sie höflich und freundlich, ohne sich zu verbiegen.

Ist das weiblich? Ja, in hohem Maße. Und das ist auch die Chance der Frauen, egal ob in Politik oder Wirtschaft. Gerade jetzt. Viele Menschen haben genug von den Machtspiel­en der Machthaber, ihren Eitelkeite­n und ihrer Aggression, die gute Lösungen verhindern und den Menschen schaden. Was zu tun ist? Die Amerikaner­innen haben es gezeigt. Frauen müssen aktiv werden statt jammern.

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