Brexit-Vertrag steht: Aber May muss ihr Kabinett überzeugen
Gibt es Zustimmung für den Ausstieg aus der EU? London steht vor einer Kraftprobe.
Als die britische Regierung am Dienstagabend einen Durchbruch in den Brexit-Verhandlungen verkündete, war in der Downing Street von Pauken und Fanfaren nichts zu hören. Vielmehr empfing Premierministerin Theresa May still einen Kabinettsminister nach dem anderen zu Einzelgesprächen, um diesen die vermeintlich frohe Botschaft zu verkünden und ihnen Hunderte Seiten Text vorzulegen.
Die Unterhändler von London und Brüssel haben sich auf einen Entwurf eines Austrittsabkommens geeinigt. Steht also fast zweieinhalb Jahre nach dem Referendum ein Deal zwischen dem Königreich und der EU? Soweit wollte zunächst niemand gehen. Vielmehr sagte der irische Außenminister Simon Coveney, dass die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen seien. Von anderen Diplomaten hieß es, man sei keineswegs am Ziel angelangt.
Doch anders als in der Vergangenheit herrschte jetzt zumindest in London tatsächlich Optimismus. Immerhin: Die Beamten haben offenbar einen Kompromiss in der problematischen Frage gefunden, wie eine harte Grenze zwischen der Republik Irland und der zum Königreich gehörenden Provinz Nordirland vermieden werden kann. Brüssel besteht auf einer Garantie, dass es keine Kontrollen geben wird, und fordert deshalb für den Notfall eine Auffanglösung („Backstop“). Der Vorschlag, dass Nordirland in der Zollunion bleiben könnte, stieß jedoch vor allem bei der erzkonservativen nordirischen Unionistenpartei DUP auf heftigen Widerstand. Diese lehnt einen Sonderstatus für den Landesteil vehement ab. Offenbar einigten sich London und Brüssel nun darauf, dass das gesamte Königreich in der Zollunion verbleiben könnte, sollte man sich auf keine andere Lösung verständigen können. Es war der von London bevorzugte „Backstop“, weshalb dieses Ergebnis nun als diplomatischer Erfolg für die Briten betrachtet wird. Kurzfristig; denn als langfristiges Ziel der EU galt es stets, das Königreich zu einer dauerhaften Zollunion zu bewegen.
Die ausgehandelte Rückfallversicherung dürfte ein erster Schritt in diese Richtung sein. Aber ein Aspekt wird den EU-Skeptikern von der DUP schwer aufstoßen: Für Nordirland sollen angeblich „tiefergehende“Bestimmungen gelten. Würde im Notfall also doch ein besonderes Arrangement für den nördlichen Landesteil greifen und damit eine von der Unionistenpartei gesetzte „rote Linie“überschritten?
Das Problem: Mays konservative Regierung ist seit dem Verlust der absoluten Mehrheit im vergangenen Jahr auf deren Stimmen angewiesen.
Der größte Ärger für May aber droht aus ihren eigenen Reihen. Sogleich begann der Widerstand der Brexit-Hardliner in der konservativen Partei. Es handele sich lediglich „dem Namen nach“um einen Brexit, kritisierten Abgeordnete. Heute, Mittwoch, debattiert das Kabinett über den Brexit-Entwurf.
STRASSBURG. Angela Merkel ist ein Politprofi. „Ich lasse mich doch nicht irritieren, ich komme selbst aus einem Parlament“, meinte Deutschlands Bundeskanzlerin lässig, als am Dienstag heftiger Applaus und laute Buhrufe ihre Rede im Europaparlament in Straßburg zur Zukunft Europas zu übertönen drohten. „Ich glaube, dieses Haus braucht einen Tierarzt“, meinte Parlamentspräsident Antonio Tajani, als die Zwischenrufe gar nicht verstummen wollten.
Grund für Emotionen bot der Auftritt genug, nicht nur weil es wahrscheinlich Merkels letzter Auftritt in dieser Funktion im EU-Abgeordnetenhaus war. Sie forderte langfristig eine europäische Armee und gab zu, dass Deutschland in der Migrationskrise zu spät die gesamteuropäischen Folgen der Flüchtlingsbewegungen erkannt habe.
„Wir sollten an der Vision arbeiten, eines Tages auch eine echte europäische Armee zu schaffen“, sagte Merkel. „Eine gemeinsame europäische Armee würde der Welt zeigen, dass es zwischen den europäischen Ländern nie wieder Krieg gibt“, sagte sie und zitierte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker – während vor allem in den Reihen der Rechtspopulisten und der Vertreter der britischen Unabhängigkeitspartei laut gebuht wurde.
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hatte vergangene Woche ebenfalls eine „echte europäische Armee“gefordert und dafür Kritik von US-Präsident Donald Trump geerntet. Es gehe nicht um eine Armee gegen die NATO, betonte die Kanzlerin, aber mit 160 Verteidigungssystemen sei die EU kein effizienter Partner. Außerdem seien Zeiten, in denen Europa sich auf andere verlassen konnte, „schlicht vorbei“, sagte Merkel. „Wir als Europäer müssen unser Schicksal stärker in die eigene Hand nehmen, wenn wir als Gemeinschaft überleben wollen.“Die EU müsse deshalb schneller entscheiden und sollte die bisher notwendige Einstimmigkeit in vielen Bereichen abschaffen.
Zugleich unterstrich Merkel, wie wichtig es sei, dass die EU-Staaten gemeinsame Position beziehen. „Europa kann seiner Stimme nur Gehör verschaffen, wenn es geeint auftritt. Das heißt, dass Solidarität immer auch bedeutet, nationale Egoismen zu überwinden.“
Auch Deutschland habe sich nicht immer solidarisch verhalten, sagte Merkel: „Wir haben 2015 viel zu lange gebraucht, um zu erkennen, dass es eine gesamteuropäische Aufgabe ist.“Doch die „Aufnahme von 1,5 Millionen Menschen bei einer europäischen Bevölkerung
Appell an Italien, Ungarn und Polen
von 500 Millionen“könne die Handlungsfähigkeit Europas nicht beeinträchtigen, versicherte die Kanzlerin. Unterstützung erhielt sie von Kommissionschef Juncker. Merkel habe richtig gehandelt, als sie die Grenzen damals nicht geschlossen habe, sagte er. Die Geschichte werde ihr recht geben.
Ganz anders war der Kommentar von Nigel Farage, der feststellte: „Ihre Entscheidung, die Türen bedingungslos aufzumachen, war die schlimmste Entscheidung in Europa.“Aber der vehementeste britische Brexit-Betreiber fügte hinzu: „Ohne Sie hätten wir den Brexit nie geschafft!“
Merkel rief indirekt auch die aktuellen Sorgenkinder der EU zur Vernunft. „Wer darauf setzt, Probleme allein durch neue Schulden zu lösen, und eingegangene Verpflichtungen missachtet, stellt die Grundlagen für die Stärke und die Stabilität des Euroraums infrage“, betonte sie, ohne die Regierung in Rom direkt zu nennen. Die gemeinsame Währung könne nur funktionieren, wenn jedes Mitglied seine Verantwortung für tragfähige Finanzen auch zu Hause erfülle.
Auch Ungarn sowie Polen sprach Merkel nicht konkret an, sie betonte aber: „Wer rechtsstaatliche Prinzipien in seinem Land aushöhlt, wer die Rechte der Opposition und der Zivilgesellschaft beschneidet, wer die Pressefreiheit einschränkt, der gefährdet nicht nur die Rechtsstaatlichkeit in seinem eigenen Land, sondern er gefährdet die Rechtsstaatlichkeit von uns allen in ganz Europa.“
Es war der dritte und – gemessen an den Zwischenrufen – emotionalste Besuch im EU-Parlament in Merkels 13-jähriger Kanzlerschaft. Ihre erste Rede hatte sie im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft 2011 gehalten. 2015 war sie gemeinsam mit dem damaligen französischen Präsidenten François Hollande in Straßburg aufgetreten.