Mr. Brexit macht gute Figur
Michel Barnier hat als EU-Chefverhandler das fast Unmögliche geschafft: Er hielt alle 27 Staaten bei der Stange und die Reihen dicht geschlossen. Im Grunde wäre er damit reif für höhere Weihen.
Der unterlegene Spitzenkandidat der Christdemokraten für die Europawahl 2019, der Finne Alexander Stubb, hat dieser Tage launig angemerkt, es gebe einen positiven Aspekt am Austritt Großbritanniens aus der EU: „Das einzige Gute am Brexit ist der tolle Job, den EUChefverhandler Michel Barnier gemacht hat.“
Damit trifft Stubb einen wichtigen Punkt. Nachdem die Briten am 23. Juni 2016 das Unvorstellbare gemacht und für den Austritt aus der EU gestimmt hatten, gab es die schlimmsten Befürchtungen: Die restlichen Mitgliedsstaaten würden sich wie immer in die Haare kriegen, alte Bündnisse würden wiederaufleben oder sogar weitere Länder dem Beispiel des Vereinigten Königreichs folgen, hieß es damals.
Nichts davon ist passiert. Und das ist nicht zuletzt das Verdienst des hochgewachsenen früheren französischen Kommissars und Ministers. Mit einem kleinen Team an Kommissionsmitarbeitern, darunter seine Stellvertreterin Sabine Weyand, hat Barnier in den vergangenen 17 Monaten die Verhandlungen für die EU geführt. Dagegen hat zeitgleich auf britischer Seite mit dem Rücktritt Dominic Raabs bereits der zweite Brexit-Minister das Handtuch geworfen.
Barniers Ernsthaftigkeit, Ruhe und Präzision, mit der er jeden Verhandlungsschritt erklärt, jede Frage beantwortet und manchmal nach dem richtigen Wort ringt, erfordert Geduld, hat aber einen ungewohnten Nebeneffekt: Alle wissen Bescheid. Er reiste fast wöchentlich in eine der EU-Hauptstädte, um dort Regierungsmitglieder, Parlamentarier, Wirtschaftsvertreter und Gewerkschafter zu treffen. Er informierte regelmäßig die eigens eingerichtete Arbeitsgruppe im Rat der EU-Mitglieder, die zuständigen Vertreter des EU-Parlaments und die Journalisten. Und er schaffte es, trotz Spaltungsversuchen aus London, die Reihen der 27 verbleibenden Staaten geschlossen zu halten.
Im EU-Alltag, wo viel hinter geschlossenen Türen passiert, ist es unüblich, dass fast minutiös über Verhandlungen informiert wird. „Die Mitgliedsstaaten können ihr Glück gar nicht fassen“, sagt ein EUBeamter in Brüssel. Das könnte durchaus Forderungen für die künftige EU-Arbeit nach sich ziehen.
Mit seiner Performance als Brexit-Verhandler würde sich der 67jährige passionierte Bergwanderer für höhere Weihen anbieten. In französischen Medien wurden am Donnerstag bereits wieder Überlegungen angestellt, ob Barnier nicht doch der beste Kandidat für die Nachfolge von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wäre.
Wahrscheinlicher ist, dass Barnier sich noch länger mit den Briten herumschlagen muss.