Auch in der kargen Sowjet-Steppe erblühen Klanginseln
Das WDR-Sinfonieorchester zeigt unter Jukka-Pekka Saraste, wie spannend Beethoven ohne Originalklang sein kann.
SALZBURG. Ein Rock-Beat wächst wie eine exotische Insel aus der kargen Klangsteppe sowjetischer Prägung. Tatsächlich begleitet ein voll ausgerüsteter Schlagzeuger den Solisten im Finalsatz des Cellokonzerts Nr. 2 von Dmitri Schostakowitsch. Es klingt anders als die massiven Rhythmusgruppen, die abends zuvor noch Leonard Bernsteins „Mass“im Großen Festspielhaus abheben ließen. Ein rudimentäres Groove-Fundament entwickelt sich, steht aber mangels üppigen Orcherstersatzes eigenwillig exponiert im Raum.
Das op. 126 des russischen Komponisten besitzt nicht die eingängigen Themen des berühmten Cellokonzerts Nr. 1, es ist eine typische Komposition des auf Elementarstes reduzierten Spätstils. Dem Publikum des Abokonzerts der Salzburger Kulturvereinigung am Mittwochabend hat dieses Werk ein merklich ungewöhnliches Hörerlebnis beschert. Dabei haben der Cellist Alban Gerhardt und das WDR-Sinfonieorchester unter der Leitung von Jukka-Pekka Saraste enorm werkdienlich gearbeitet. Gerhardt bewältigte die Doppelgriffe und Glissandi des höllisch schweren und gleichzeitig undankbaren Soloparts souverän. Der deutsche Cellist spielt mit zwingender rhythmischer Prägnanz, sein Ton ist wandlungsfähig und zeitigt in den Bassregionen astrale Obertöne. Auch den Witz, im resignativen Spätwerk ja zumeist in Gestalt eines bitteren Zynismus, kehrte Gerhardt nach Leibeskräften hervor.
Gerhardt ließ diesen düsteren 35 Minuten eine Zugabe voll Frohsinn folgen – noch dazu mit klarem Bezug zu Schostakowitschs Konzert. Mstislaw Rostropowitsch, legendärer Interpret der Uraufführung 1966, hat nämlich auch als Komponist gearbeitet. Seine Komposition besitzt Humor und verlangt dem Interpreten wahnwitzige technische Fähigkeiten ab. Gerhardt versöhnte damit auch die Teile des Publikums, die zuvor wie von einer Planierraupe überrollt zu sein schienen.
Nach der Pause ertönten vertrautere Klänge. Die „Eroica“dürfte dem WDR-Sinfonieorchester geläufig sein, hat der Klangkörper aus Köln doch erst in der vergangenen Saison alle neun Symphonien Beethovens zyklisch interpretiert. Kann und will man dieses Werk nach der interessanten, aber auch diskutablen Festspiel-Integrale von Teodor Currentzis und der MusicAeterna überhaupt noch jenseits der Originalklang-Sphäre hören? Durchaus – wenn das Werk mit so viel Detailfreude und klar erkennbarem Interpretationsstil ertönt. Jukka-Pekka Saraste legt von Beginn an Wert auf erhöhte dynamische Tiefenschärfe, die dem Werk Fluss und pulsierendes Leben verleiht.
Die überragende Klangkultur des Orchesters – und das ist wohl der entscheidende Vorteil gegenüber der historisch informierten Musizierpraxis – kam dann im Trauermarsch zur Geltung, der nicht zuletzt dank der famosen Holzbläser geradezu aufblühte. Und hat man die drei Hörner im Scherzo je brillanter gehört? Diese BeethovenInterpretation wirkte jedenfalls wie aus einem Guss.
Heute, Freitag, bietet sich noch eine Gelegenheit, dieses Spitzenorchester in Salzburg zu erleben – mit Schumann und Bruckner.