„Nur eine Placebo-Geschichte“
Das Kopftuch in der Volksschule: tatsächliches Problem – oder Scheindebatte? Die SN fragen bei zwei Direktorinnen und einem Integrationsexperten nach.
WIEN. Die Regierungsparteien wollen nach dem Kopftuchverbot im Kindergarten nun auch ein solches an den Volksschulen durchsetzen – letzteres auf möglichst breiter Basis mit einer verfassungsgesetzlichen Regelung. Aber werden die Oppositionsparteien da wirklich mitgehen? Und sind Kinder mit Kopftuch an den Volksschulen nicht ein Randproblem, das nur eine winzige Zahl von Einzelfällen betrifft? Das Bildungsministerium kann auf Anfrage der SN mit keinen konkreten Zahlen aufwarten.
Die SN hörten sich bei Wiener Volksschuldirektorinnen in Bezirken mit starkem Migrationsanteil zum „Problem“Kopftuch um. Astrid Pany von der Volksschule Campus Donaufeld in Floridsdorf erklärt: „Es gibt Probleme in der Schule, das Kopftuch gehört meiner Meinung nach nicht dazu. Das ist wieder so eine Placebo-Geschichte, die sich gut verkaufen lässt und die Gemüter anheizt.“An Panys Schule gibt es jedenfalls „kein einziges Kind mit Kopftuch“. Pany hat sich auch bei einem Treffen von zwei Dritteln der Volksschulleiter des Bezirks erkundigt: Nur eine einzige Schulleiterin sagte, sie habe Kinder mit Kopftuch – es waren drei Geschwister. Das Kopftuchverbot sei nicht das große Problem, das man jetzt vorrangig angehen müsste. „Da würden mir andere Dinge einfallen“, sagt die Direktorin. Etwa mehr Ressourcen in die Sprachförderung. Therapeuten. Kleingruppenförderung. Kleinere Klassen.
Pany: „Ich bin gegen religiöse Symbole in der Schule – nur das muss dann für alle gelten.“
Lisa Stecher, Direktorin der Volksschule Gaullachergasse in Wien-Ottakring, sagt über das Kopftuch: „Es ist bei uns nicht gerade das vorrangige Thema, bei uns ist ein Kind von 250 betroffen.“Es würde Stecher nicht stören, wenn das Kind das Kopftuch heruntergibt. „Ich plädiere eher für ein Miteinander. Unser Hauptthema ist, dass man Menschen toleriert.“Stecher wünscht sich, dass die Regierung bei anderen Themen „auch so viel Elan hineinlegen würde“: etwa, wenn es darum gehe, Integrationsmaßnahmen weiterhin zu bezahlen und nicht zu erschweren. Stecher: „Ich warte seit sechs Jahren auf einen Sozialarbeiter.“
Der Soziologe und Integrationsexperte Kenan Güngör kritisiert im SN-Gespräch die Stückwerksarbeit, die die Politik bei einem ernsten Thema an den Tag lege, das endlich „glaubwürdig und substanziell“behandelt werden müsste. Immer wenn es politisch gerade passe, werde das Thema aus der Schublade geholt. „Nächstes Jahr kommt dann das Kopftuchverbot für Elf-, Zwölf-, 13-Jährige.“Güngör versteht nicht, warum die Politik nicht eine grundsätzliche Lösung dafür suche, „wie eine säkulare Schule in einer migrationsgeprägten Gesellschaft aussieht, in der eine erhöhte Religiosität von bestimmten Minderheitsgruppen da ist“. Es könne jedenfalls nicht sein, kritisiert der Integrationsexperte, dass Integrationsmaßnahmen zurückgefahren würden, Sozialarbeiter an Schulen fehlten – „und wir verbeißen uns ins Kopftuch bei Kindern, in einem Alter, in dem das keine Rolle spielt“.
Die SPÖ will sich nicht als Mehrheitsbeschaffer für das von der Regierung geplante Kopftuchverbot hergeben. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner erklärte am Montag, man werde einem Kopftuchverbot für Mädchen in der Volksschule als isolierter Einzelmaßnahme nicht zustimmen; die SPÖ fordert ein Gesamtpaket für bessere Integration.