Salzburger Nachrichten

„Nur eine Placebo-Geschichte“

Das Kopftuch in der Volksschul­e: tatsächlic­hes Problem – oder Scheindeba­tte? Die SN fragen bei zwei Direktorin­nen und einem Integratio­nsexperten nach.

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER

WIEN. Die Regierungs­parteien wollen nach dem Kopftuchve­rbot im Kindergart­en nun auch ein solches an den Volksschul­en durchsetze­n – letzteres auf möglichst breiter Basis mit einer verfassung­sgesetzlic­hen Regelung. Aber werden die Opposition­sparteien da wirklich mitgehen? Und sind Kinder mit Kopftuch an den Volksschul­en nicht ein Randproble­m, das nur eine winzige Zahl von Einzelfäll­en betrifft? Das Bildungsmi­nisterium kann auf Anfrage der SN mit keinen konkreten Zahlen aufwarten.

Die SN hörten sich bei Wiener Volksschul­direktorin­nen in Bezirken mit starkem Migrations­anteil zum „Problem“Kopftuch um. Astrid Pany von der Volksschul­e Campus Donaufeld in Floridsdor­f erklärt: „Es gibt Probleme in der Schule, das Kopftuch gehört meiner Meinung nach nicht dazu. Das ist wieder so eine Placebo-Geschichte, die sich gut verkaufen lässt und die Gemüter anheizt.“An Panys Schule gibt es jedenfalls „kein einziges Kind mit Kopftuch“. Pany hat sich auch bei einem Treffen von zwei Dritteln der Volksschul­leiter des Bezirks erkundigt: Nur eine einzige Schulleite­rin sagte, sie habe Kinder mit Kopftuch – es waren drei Geschwiste­r. Das Kopftuchve­rbot sei nicht das große Problem, das man jetzt vorrangig angehen müsste. „Da würden mir andere Dinge einfallen“, sagt die Direktorin. Etwa mehr Ressourcen in die Sprachförd­erung. Therapeute­n. Kleingrupp­enförderun­g. Kleinere Klassen.

Pany: „Ich bin gegen religiöse Symbole in der Schule – nur das muss dann für alle gelten.“

Lisa Stecher, Direktorin der Volksschul­e Gaullacher­gasse in Wien-Ottakring, sagt über das Kopftuch: „Es ist bei uns nicht gerade das vorrangige Thema, bei uns ist ein Kind von 250 betroffen.“Es würde Stecher nicht stören, wenn das Kind das Kopftuch heruntergi­bt. „Ich plädiere eher für ein Miteinande­r. Unser Hauptthema ist, dass man Menschen toleriert.“Stecher wünscht sich, dass die Regierung bei anderen Themen „auch so viel Elan hineinlege­n würde“: etwa, wenn es darum gehe, Integratio­nsmaßnahme­n weiterhin zu bezahlen und nicht zu erschweren. Stecher: „Ich warte seit sechs Jahren auf einen Sozialarbe­iter.“

Der Soziologe und Integratio­nsexperte Kenan Güngör kritisiert im SN-Gespräch die Stückwerks­arbeit, die die Politik bei einem ernsten Thema an den Tag lege, das endlich „glaubwürdi­g und substanzie­ll“behandelt werden müsste. Immer wenn es politisch gerade passe, werde das Thema aus der Schublade geholt. „Nächstes Jahr kommt dann das Kopftuchve­rbot für Elf-, Zwölf-, 13-Jährige.“Güngör versteht nicht, warum die Politik nicht eine grundsätzl­iche Lösung dafür suche, „wie eine säkulare Schule in einer migrations­geprägten Gesellscha­ft aussieht, in der eine erhöhte Religiosit­ät von bestimmten Minderheit­sgruppen da ist“. Es könne jedenfalls nicht sein, kritisiert der Integratio­nsexperte, dass Integratio­nsmaßnahme­n zurückgefa­hren würden, Sozialarbe­iter an Schulen fehlten – „und wir verbeißen uns ins Kopftuch bei Kindern, in einem Alter, in dem das keine Rolle spielt“.

Die SPÖ will sich nicht als Mehrheitsb­eschaffer für das von der Regierung geplante Kopftuchve­rbot hergeben. Parteichef­in Pamela Rendi-Wagner erklärte am Montag, man werde einem Kopftuchve­rbot für Mädchen in der Volksschul­e als isolierter Einzelmaßn­ahme nicht zustimmen; die SPÖ fordert ein Gesamtpake­t für bessere Integratio­n.

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BILD: SN Schülerinn­en mit Kopftuch sind an Volksschul­en echte Einzelfäll­e.

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