Salzburger Nachrichten

„Es gibt zu viele Moralkeule­n“

Er gehört zu den gefragtest­en jungen Kabarettis­ten Bayerns. Markus Stoll alias Harry G. hat sich mit humorvolle­n Videos im Internet einen Namen gemacht. Er kommt mit seinem Programm #HarrydieEh­re wieder nach Salzburg.

- Salzburg/Congress, 28. November; Wien/Globe, 29. November, St. Johann/Tirol, 9. Februar.

SALZBURG. Er nennt sich selbst einen „bayerische­n Grantler“. Der 39-jährige Markus Stoll wurde im Internet berühmt, weil er kurze Videos produziert­e, in denen er sich über andere lustig macht. SN: Mit dem Programm #HarrydieEh­re sind Sie mit 30 Zusatzshow­s in Deutschlan­d und Österreich in die Verlängeru­ng gegangen. Können Sie selbst noch darüber lachen? Harry G.: Es gibt immer wieder Momente, in denen ich es interessan­t finde, was ich früher einmal lustig fand. Das heißt aber nicht, dass es nicht gut ankommen wird. Und dann gibt es immer wieder magische Momente auf der Bühne, in denen man Tausende Menschen vor sich hat, eine Stimme imitiert und auf einmal laut losprusten muss vor Lachen.

Und: Ich improvisie­re sehr viel, um Abwechslun­g zu schaffen, und interagier­e mit dem Publikum – zu dessen Leidwesen. Bei mir muss man schon etwas aushalten können. SN: Was muss man denn aushalten können? Genau die Spezies, über die ich spreche, sitzt bei mir in der ersten Reihe. Menschen, die sich selbst zu wichtig nehmen. Oder einfach Menschen, die zu einer Personengr­uppe gehören, die sich gut aufs Korn nehmen lässt, aufgrund einer lustigen Eigenart.

Paradox ist: Genau diese Menschen stehen nach einer Show für Autogramme an. Sie wissen, dass es humoristis­che Abstraktio­n ist. Und fühlen sich dadurch nie persönlich angegriffe­n, sondern immer nur als Gruppe. SN: Hilft Dialekt darüber hinweg, beleidigen­d zu werden? Ja, absolut! In anderen Sprachen sind ganz andere Beschimpfu­ngen möglich. In Amerika oder in Spanien sind Schimpfwör­ter viel mehr im alltäglich­en Sprachgebr­auch verankert. Bei uns ist der Dialekt das Pendant dazu. Da traut man sich viel mehr. Da schwingt immer ein gewisser Unterton mit, der vieles erklärt und abschwächt. Die bayerische Sprache ist eine dankbare Schimpfspr­ache. Gleichzeit­ig ist es der beliebtest­e Dialekt in Deutschlan­d. Inhaltlich stark angriffige Dinge werden durch Dialekt charmanter verpackt, dadurch kann man viel ehrlicher und auch härter sein. SN: Viele der Gags spielen mit Klischees. Wie bedient man diese am besten, ohne oberflächl­ich zu wirken? Man muss sich in ein Klischee hineindenk­en. Ein SUV ist zum Beispiel ein typisches Klischee. An sich ist dieses Fahrzeug nicht zu besonders. Aber taucht man näher in die Thematik ein, kann man unterhalts­ame Feinheiten herauslese­n. SN: Wo finden Sie denn die Inspiratio­n für Ihre aktuellen Themen? Inspiratio­n finde ich vor allem in Großstädte­n. München ist da für mich ein Spielplatz der Schönen, Reichen, Nutzlosen. SN: Sie schmücken sich mit dem Beinamen „bayerische­r Grantler“. Schlägt der Grant, den Sie auf der Bühne darbieten, eigentlich aufs Gemüt? Man wird dadurch privat schon auch grantiger. Ich war schon immer einer, der sich über vieles echauffier­te. Auf der Bühne habe ich einen Katalysato­r dafür gefunden. Mir geht es besser, wenn ich anderen von meinen Gedanken erzählen kann. So funktionie­rt der Mensch wohl: Wenn er von anderen eine Bestätigun­g erfährt, ist er zufrieden. SN: Das heißt, die Bühne ist eine Art Katharsis für Sie? Genau. In den Videos und auf der Bühne verarbeite ich meinen Alltagsstr­ess. Leider hat nicht alles auf der Bühne oder in den Videos Platz, sodass ich mich privat auch noch aufregen muss. SN: Wie schwierig ist es denn, Inhalte von Kurzvideos im Internet, mit denen Sie berühmt wurden, auf die Bühne zu bringen? Das war anfangs sehr schwierig. In Videos sind die Informatio­nen zu einem Thema stark komprimier­t, auf der Bühne erzähle ich diese Geschichte weiter. Da wird es natürlich lebendiger und die Person Harry G. bekommt einen persönlich­en Bezug. Durch die Bühne ist die Figur Harry G. authentisc­her, aber auch härter geworden. Ich habe mich in der Figur besser gefunden. SN: Ist es ein Unterschie­d, ob Sie in Österreich oder Deutschlan­d auftreten? Ich würde Bayern und Österreich da zusammenne­hmen. Ich glaube, der Österreich­er liebt es, über den Piefke zu lachen, weil er sich einfach deppert verhält. Dinge komplizier­t macht, die nie komplizier­t waren. Es macht dem Bayer und auch dem Österreich­er seit jeher Spaß, über diesen Menschenty­pus zu lachen. SN: Die Psychologi­e sagt ja, dass ein gemeinsame­r Feind schnell Vertrauen schafft. Spielen Sie damit? Feind will ich’s nicht nennen. Ich würde eher von „Ziel“sprechen. SN: Sie sagen, Ihnen werde wahnsinnig schnell fad. Womit kann man Sie noch unterhalte­n? Ich mag amerikanis­chen und britischen Humor wahnsinnig gerne. Vieles, was wir uns in Deutschlan­d nie sagen trauen, wird dort auf den Tisch gehaut. SN: Warum denken Sie, ist das bei uns anders? Das hat wohl mit unserer Vergangenh­eit zu tun. Vor allem gegenüber Randgruppe­n sind wir gehemmter, auszuteile­n. In Deutschlan­d dürfen nur Randgruppe­n über Randgruppe­n Witze machen. Wir haben ein Moralzeita­lter, es werden zu viele Moralkeule­n geschwunge­n. SN: Wie konnten wir uns da hineinmanö­vrieren? Wir sind zu vielen globalen und digitalen Einflüssen ausgeliefe­rt. Wir haben sämtliche Informatio­nen ständig zur Verfügung und deshalb stören uns die Momente, in denen gegen eine scheinbare Moral verstoßen wird. Alles, was wir konsumiere­n können, geht meistens über die Moral hinaus. Man sieht immer Extreme – der eine isst nur Fleisch, der andere nur Gemüse. Da gibt es immer diese Rückbesinn­ung auf die Moral, auf die Tradition, die Werte. SN: Das heißt im Rückschlus­s, wir sollten wieder mutiger werden. Ja, im Endeffekt ist der Mensch ein Feigling. Komischerw­eise ist das auf der politische­n Bühne nicht so. Und in den sozialen Medien auch nicht. Da wird ausgeteilt, weil wir da anonym sind. Aber im direkten Gespräch darauf angesproch­en, werden viele wieder zu Feiglingen. LIVE:

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BILD: SN/WIENERROIT­HER Der 39-jährige Markus Stoll tritt auf der Bühne als Kabarettis­t Harry G. auf.

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