„Es gibt zu viele Moralkeulen“
Er gehört zu den gefragtesten jungen Kabarettisten Bayerns. Markus Stoll alias Harry G. hat sich mit humorvollen Videos im Internet einen Namen gemacht. Er kommt mit seinem Programm #HarrydieEhre wieder nach Salzburg.
SALZBURG. Er nennt sich selbst einen „bayerischen Grantler“. Der 39-jährige Markus Stoll wurde im Internet berühmt, weil er kurze Videos produzierte, in denen er sich über andere lustig macht. SN: Mit dem Programm #HarrydieEhre sind Sie mit 30 Zusatzshows in Deutschland und Österreich in die Verlängerung gegangen. Können Sie selbst noch darüber lachen? Harry G.: Es gibt immer wieder Momente, in denen ich es interessant finde, was ich früher einmal lustig fand. Das heißt aber nicht, dass es nicht gut ankommen wird. Und dann gibt es immer wieder magische Momente auf der Bühne, in denen man Tausende Menschen vor sich hat, eine Stimme imitiert und auf einmal laut losprusten muss vor Lachen.
Und: Ich improvisiere sehr viel, um Abwechslung zu schaffen, und interagiere mit dem Publikum – zu dessen Leidwesen. Bei mir muss man schon etwas aushalten können. SN: Was muss man denn aushalten können? Genau die Spezies, über die ich spreche, sitzt bei mir in der ersten Reihe. Menschen, die sich selbst zu wichtig nehmen. Oder einfach Menschen, die zu einer Personengruppe gehören, die sich gut aufs Korn nehmen lässt, aufgrund einer lustigen Eigenart.
Paradox ist: Genau diese Menschen stehen nach einer Show für Autogramme an. Sie wissen, dass es humoristische Abstraktion ist. Und fühlen sich dadurch nie persönlich angegriffen, sondern immer nur als Gruppe. SN: Hilft Dialekt darüber hinweg, beleidigend zu werden? Ja, absolut! In anderen Sprachen sind ganz andere Beschimpfungen möglich. In Amerika oder in Spanien sind Schimpfwörter viel mehr im alltäglichen Sprachgebrauch verankert. Bei uns ist der Dialekt das Pendant dazu. Da traut man sich viel mehr. Da schwingt immer ein gewisser Unterton mit, der vieles erklärt und abschwächt. Die bayerische Sprache ist eine dankbare Schimpfsprache. Gleichzeitig ist es der beliebteste Dialekt in Deutschland. Inhaltlich stark angriffige Dinge werden durch Dialekt charmanter verpackt, dadurch kann man viel ehrlicher und auch härter sein. SN: Viele der Gags spielen mit Klischees. Wie bedient man diese am besten, ohne oberflächlich zu wirken? Man muss sich in ein Klischee hineindenken. Ein SUV ist zum Beispiel ein typisches Klischee. An sich ist dieses Fahrzeug nicht zu besonders. Aber taucht man näher in die Thematik ein, kann man unterhaltsame Feinheiten herauslesen. SN: Wo finden Sie denn die Inspiration für Ihre aktuellen Themen? Inspiration finde ich vor allem in Großstädten. München ist da für mich ein Spielplatz der Schönen, Reichen, Nutzlosen. SN: Sie schmücken sich mit dem Beinamen „bayerischer Grantler“. Schlägt der Grant, den Sie auf der Bühne darbieten, eigentlich aufs Gemüt? Man wird dadurch privat schon auch grantiger. Ich war schon immer einer, der sich über vieles echauffierte. Auf der Bühne habe ich einen Katalysator dafür gefunden. Mir geht es besser, wenn ich anderen von meinen Gedanken erzählen kann. So funktioniert der Mensch wohl: Wenn er von anderen eine Bestätigung erfährt, ist er zufrieden. SN: Das heißt, die Bühne ist eine Art Katharsis für Sie? Genau. In den Videos und auf der Bühne verarbeite ich meinen Alltagsstress. Leider hat nicht alles auf der Bühne oder in den Videos Platz, sodass ich mich privat auch noch aufregen muss. SN: Wie schwierig ist es denn, Inhalte von Kurzvideos im Internet, mit denen Sie berühmt wurden, auf die Bühne zu bringen? Das war anfangs sehr schwierig. In Videos sind die Informationen zu einem Thema stark komprimiert, auf der Bühne erzähle ich diese Geschichte weiter. Da wird es natürlich lebendiger und die Person Harry G. bekommt einen persönlichen Bezug. Durch die Bühne ist die Figur Harry G. authentischer, aber auch härter geworden. Ich habe mich in der Figur besser gefunden. SN: Ist es ein Unterschied, ob Sie in Österreich oder Deutschland auftreten? Ich würde Bayern und Österreich da zusammennehmen. Ich glaube, der Österreicher liebt es, über den Piefke zu lachen, weil er sich einfach deppert verhält. Dinge kompliziert macht, die nie kompliziert waren. Es macht dem Bayer und auch dem Österreicher seit jeher Spaß, über diesen Menschentypus zu lachen. SN: Die Psychologie sagt ja, dass ein gemeinsamer Feind schnell Vertrauen schafft. Spielen Sie damit? Feind will ich’s nicht nennen. Ich würde eher von „Ziel“sprechen. SN: Sie sagen, Ihnen werde wahnsinnig schnell fad. Womit kann man Sie noch unterhalten? Ich mag amerikanischen und britischen Humor wahnsinnig gerne. Vieles, was wir uns in Deutschland nie sagen trauen, wird dort auf den Tisch gehaut. SN: Warum denken Sie, ist das bei uns anders? Das hat wohl mit unserer Vergangenheit zu tun. Vor allem gegenüber Randgruppen sind wir gehemmter, auszuteilen. In Deutschland dürfen nur Randgruppen über Randgruppen Witze machen. Wir haben ein Moralzeitalter, es werden zu viele Moralkeulen geschwungen. SN: Wie konnten wir uns da hineinmanövrieren? Wir sind zu vielen globalen und digitalen Einflüssen ausgeliefert. Wir haben sämtliche Informationen ständig zur Verfügung und deshalb stören uns die Momente, in denen gegen eine scheinbare Moral verstoßen wird. Alles, was wir konsumieren können, geht meistens über die Moral hinaus. Man sieht immer Extreme – der eine isst nur Fleisch, der andere nur Gemüse. Da gibt es immer diese Rückbesinnung auf die Moral, auf die Tradition, die Werte. SN: Das heißt im Rückschluss, wir sollten wieder mutiger werden. Ja, im Endeffekt ist der Mensch ein Feigling. Komischerweise ist das auf der politischen Bühne nicht so. Und in den sozialen Medien auch nicht. Da wird ausgeteilt, weil wir da anonym sind. Aber im direkten Gespräch darauf angesprochen, werden viele wieder zu Feiglingen. LIVE: