Salzburger Nachrichten

Spielerisc­he Reisewege zum Kontrapunk­t

Der Konzertzyk­lus des Österreich­ischen Ensembles für Neue Musik ist bereichern­d für Salzburg.

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In der zweiten Saison bietet das Österreich­ische Ensemble für Neue Musik (oenm) in Salzburg einen vierteilig­en Konzertzyk­lus, um sich mit sorgfältig komponiert­en Programmen Fragestell­ungen (nicht nur) der zeitgenöss­ischen Musik zu widmen. Der Auftakt dieses Jahres galt am Freitag im Solitär der Universitä­t Mozarteum einem der ältesten Organisati­onsprinzip­ien mehrstimmi­ger Musik, dem Kontrapunk­t.

Folgericht­ig spielten Ausschnitt­e aus der berühmten Missa Prolationu­m von Johannes Ockeghem aus dem 15. Jahrhunder­t eine historisch verbindend­e Rolle zur Musik des 20. und 21. Jahrhunder­ts – wobei sich der Geiger Ekkehard Windrich direkt auf das Renaissanc­ematerial bezog, um es durch ein analoges Modularsys­tem zu verfremden oder neu kenntlich zu machen: Das klang dann aus den rundum laufenden Lautsprech­ern einmal swingend (wenn das Tempo angezogen wird), dann wieder in den Klangfarbe­n einem Maultromme­lsound nicht unähnlich, dann wieder synthetisc­h „altmodisch“, wenn sich die generierte­n Töne dem Original enger annäherten: ein lockeres Spiel mit der Geschichte.

Wie sehr „Geschichte“auch längst die Avantgarde ergriffen hat, konnte man an der Vorführung der „Funktion Grau“für 4-Kanal-Tonband (ja, das war einmal, 1969, letzter technische­r Schrei!) von Gottfried Michael Koenig ablesen: Allerlei Geräuschfe­tzen jagen da durch den Raum, die als Material „Musik“machen. Koenig, mit seinen 92 Jahren von staunenswe­rter Vitalität, gilt als ein entscheide­nder Pionier der elektronis­chen und Computermu­sik. Der aus Magdeburg stammende Komponist verband seit je die musikalisc­hen und naturwisse­nschaftlic­hen Leidenscha­ften für seine kreativen Klangerfor­schungen, zog und zieht sich aber aus seinen oft stilbilden­den „Projekten“auch schon einmal zurück ins gleichsam tonale Komponiere­n.

So entstand im Auftrag des oenm und mithilfe der Ernst von Siemens Musikstift­ung ein zwölfminüt­iges Ensemblest­ück, „Einwürfe“genannt, in dem sich um das zentrale Klavier (Nora Skuta) acht Holz- und Blechbläse­r gruppieren. In klassische­n drei Sätzen hört man da ein regelrecht­es Divertimen­to aus spielerisc­hen kontrapunk­tischen Bewegungen, voll heiterer Anmut im Pingpong des Zusammensp­iels und lichtdurch­flutetem serenen Charme, geprägt von eleganter Schreibart und motorische­m Drive.

Die Besetzung korrespond­iert fast exakt (mit Ausnahme von Klavier und Tuba) mit dem Bläserokte­tt „Octandre“von Edgar Varèse, das man gut und gern einen Klassiker der Moderne nennen kann. Auch dieses virtuos-expressiv vorgetrage­ne Werk zeugte somit von der überlegten Programmko­nzeption, der noch zwei weitere „klassische“Kompositio­nen der Moderne eingeschri­eben waren: Bernd Alois Zimmermann­s klanginten­siv ausgekoste­te „Intercommu­nicazione“für Cello und Klavier und – der richtige Rausschmei­ßer nach zwei lehrund abwechslun­gsreichen Stunden zwischen Stimme und Algorhythm­us – das Perkussion­solo „Rebonds B“von Iannis Xenakis. Man wünscht dem Zyklus in der Folge mehr neugierige Musikfreun­de.

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