Im All halten alle zusammen
Ein Observatorium, ein Gewächshaus, ein Forschungslabor: Die International Space Station ISS umkreist seit 20 Jahren die Erde. Auf ihr wurde viel zum Nutzen der Menschheit erforscht.
WIEN. Auf der Internationalen Raumstation (ISS) wird gefeiert. Der derzeitige Kommandant des „Außenpostens der Menschheit“ist der deutsche Astronaut Alexander Gerst. „Seine“Station wird 20 Jahre alt. Als erstes Bauteil der Station wurde am 20. November 1998 das russische Modul „Sarja“, die Morgenröte, in den Orbit geschickt.
Seither ist die sogenannte Weltraum-WG auf mehr als ein Dutzend Module gewachsen, in denen bis zu sechs Raumfahrer leben und arbeiten. „Die Module, die im Orbit zusammengefügt wurden, sind vorher nie probeweise auf der Erde zusammengesteckt worden“, sagt Gerst. Die Bauteile müssten aber auf einen Hundertstelmillimeter genau passen. „Das ist ein wundervolles Beispiel dafür, dass Menschen noch zusammenarbeiten können.“
Die Raumfahrtbehörden der USA, Russlands, Kanadas und Japans sowie die Europäische Raumfahrtagentur ESA loben die ISS als Vorbild der Kooperation in politisch schwierigen Zeiten. Der 450 Tonnen schwere Koloss, mit den Jahren zusammengesetzt aus verschiedensten Modulen, fliegt in 400 Kilometern Höhe um die Erde und wird seit 1998 ständig bewohnt. Die Raumstation ist heute ein Observatorium, ein medizinisches Labor, ein Gewächshaus, und vor allem eines: ein großartiges Friedensprojekt. Mehrere Nationen arbeiten dort seit Anbeginn ihres Bestehens zusammen. Die meisten Bauteile stammen aus den USA und Russland. Mit dem in Bremen und Turin gebauten Forschungslabor Columbus erhielt das Haus im Orbit 2008 auch ein europäisches Zimmer.
Sehr gemütlich ist es allerdings nicht auf der ISS: Bei voller Besetzung gibt es kaum Privatsphäre. Die Mahlzeiten kommen aus dem Säckchen. Jegliches Prozedere wie Waschen, Trainieren oder Anziehen ist im schwerelosen Zustand mühselig. Es vergeht viel Zeit mit Warten und Putzen der Gerätschaften. Vor allem wegen der Lüftungsventilatoren ist es fortwährend sehr laut, die Luft ist schlecht.
Jetzt scheinen die letzten Tage dieser Behausung angebrochen zu sein. Denn die ISS dürfte trotz vieler Nachrüstungen über die Jahre ziemlich gelitten haben. Innen, vor allem aber außen: Die Außenhülle der Station ist mit Kratern übersät. Einige Male musste die ISS Weltraumschrott ausweichen und deswegen kurzfristig ihren Kurs ändern. Einmal durchschlug ein winziger Splitter ein Sonnensegel.
Die ISS ist der Beweis, dass eine friedliche globale Zusammenarbeit von Partnern unterschiedlichster Kulturen nicht nur möglich und sinnvoll ist. Zeitliche Verzögerungen und technische Probleme beim Aufbau haben die Partner sogar enger zusammengeführt und die Partnerschaften gestärkt. Seit 2001 konnten rund 900 Experimente aus 63 Ländern realisiert werden. Das Themenspektrum ist dabei breit gefächert. Es reicht von der physikali- schen Forschung mit Materialwissenschaften, Astrophysik über Medizin, Biologie, Biotechnologie, Astrobiologie, Fernerkundung bis zu Klimatologie. Unter anderem ist es gelungen, Gemüse auf der Station zu ziehen. Und es schmeckte sogar.
Forscher der Berliner Charité haben zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der ESA in einem fünfjährigen Langzeitexperiment das Zusammenspiel von Auge und menschlichem Gleichgewichtssystem ins Visier genommen.
Das ISS-Experiment soll Aufschlüsse darüber liefern, wie das Gleichgewichtssystem des Menschen funktioniert, was für die Nachsorge bei Unfällen von Relevanz ist. Auch die Frage des Knochenschwunds – auf der Erde ein Volksleiden der älteren Generation – wurde an Bord der ISS erforscht. Ein deutsch-russisches Plasmakristallexperiment, das seit 2001 in Schwerelosigkeit auf der ISS läuft, hat Spin-offs mit medizinischem Anwendungspotenzial nach sich gezogen. Der Einsatz in der Halbleiterindustrie steht bevor.