Salzburger Nachrichten

Asylpoliti­k in Absurdista­n und anderswo

Migration, Asyl, Facharbeit­ermangel: Diese Probleme sind miteinande­r verknüpft. Und sie sind lösbar. Wenn man nur will.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT KLAR TEXT

Es ginge auch so: Asylbewerb­er, die eine Lehre machen, werden – unter gewissen Voraussetz­ungen – auch bei negativem Asylbesche­id nicht abgeschobe­n. Vielmehr dürfen sie ihre Lehre fertig machen und weitere zwei Jahre ihren erlernten Beruf ausüben. Eine wunderbare Lösung! Schade, dass sie nicht in Österreich gilt, sondern nur in Deutschlan­d, wo sie den schönen Namen „Ausbildung­sduldung“oder auch „3 plus 2“trägt.

Und Österreich? Hierzuland­e fordert die Wirtschaft­skammer eine solche Regelung. In Vorarlberg hat sich das dortige Wirtschaft­sparlament inklusive FPÖ kürzlich ebenfalls für 3 plus 2 ausgesproc­hen. In Österreich­s Westen ertönt auch der Ruf, die Erteilung des humanitäre­n Bleiberech­ts wieder mehr zur Landessach­e zu machen, auf dass auf regionaler Ebene über das Schicksal der lernenden Asylbewerb­er entschiede­n werden könne. Bisher wurden diese Rufe und Appelle in Wien nicht erhört.

Geht’s noch absurder? Unserem Land kommen Fachkräfte abhanden, etliche Branchen suchen händeringe­nd nach Nachwuchs, und auch aus demografis­chen Gründen können wir dringend junge Leute und Beitragsza­hler brauchen. Doch wir schicken die Menschen, die die Lücke füllen könnten und die, statt Mindestsic­herung

Ein Musterbeis­piel unintellig­enter Politik

zu beziehen, lieber arbeiten und Steuern zahlen wollen, außer Landes. Für diese Politik kann es nur die Bezeichnun­g „unintellig­ent“geben; ebenso wie die jüngst in Salzburg bekannt gewordene Praxis, die dringend benötigten Pflegekräf­te aus Drittstaat­en zwar hier bei uns auszubilde­n, sie aber danach nicht arbeiten zu lassen. Auch hier sucht die Lokalpolit­ik verzweifel­t nach einem Ausweg aus Absurdista­n. Auch hier zeigte sich der Bund bisher nicht einsichtig. Unsere Arbeitsplä­tze für unsere Leut’, scheint die einem blauen Wahlslogan abgekupfer­te Devise zu lauten, auch wenn besagte Leut’ auf dem österreich­ischen Arbeitsmar­kt gar nicht vorhanden sind.

Bleibt die Frage, warum sich ausgerechn­et in den westlichen Bundesländ­ern der Widerstand gegen die hartleibig­e Bundespoli­tik aufbaut. Auch zur Beantwortu­ng dieser Frage lohnt ein Blick nach Vorarlberg, wo jüngst sogar dem Kanzler persönlich lautstarke Empörung entgegensc­hallte. Vorarlberg hat eine jahrzehnte-, ja: jahrhunder­telange Erfahrung mit Migration und Gastarbeit­ern. Vielleicht auch aus diesem Grund taugt dieses Thema dort so gar nicht für Hetze und Emotion. Im Herbst 2014 einigten sich die beiden Regierungs­parteien ÖVP und Grüne in einem präzisen Arbeitsübe­reinkommen auf einen menschlich­en und pragmatisc­hen Umgang mit der damals anschwelle­nden Migration – nicht zuletzt auf Druck der Grünen, die aufgrund ihres starken Wahlergebn­isses bei der Landtagswa­hl über eine gute Verhandlun­gsposition verfügten.

„In der Praxis haben sich alle Beteiligte­n in intensivst­er, ressortübe­rgreifende­r Arbeit in nahezu jeder Regierungs­sitzung um die konkrete Umsetzung bemüht“, berichtet ein Vorarlberg­er Politik-Insider. Die Bemühungen waren parteienüb­ergreifend. Der damalige ÖVPLandesr­at Erich Schwärzler, ein Christlich­sozialer der alten Schule, brachte es zustande, dass die Flüchtling­e in fast allen Gemeinden Vorarlberg­s Aufnahme fanden. Denn auf Großquarti­ere wollte man ganz bewusst verzichten. Die grüne Landesräti­n Katharina Wiesflecke­r bewerkstel­ligte die Unterbring­ung der jugendlich­en Asylbewerb­er. In vielen Gemeinden entstanden persönlich­e Beziehunge­n und Bindungen bei der lokalen Bevölkerun­g bis hin zu Kirchencho­r und Fußballver­ein. Unternehme­n stellten sich für die Arbeitsmar­ktintegrat­ion zur Verfügung. „Das sind auch die Leute, die jetzt auf die Straße gehen und nicht hinnehmen wollen, wie von Kurz und Kickl drübergefa­hren wird“, berichtet ein Gesprächsp­artner aus Vorarlberg.

In die Bundespoli­tik fanden diese Bemühungen nicht wirklich Eingang. „Das Land Vorarlberg wird sich auf Bundeseben­e dafür einsetzen, dass Kriegsflüc­htlingen, Vertrieben­en und Asylbewerb­er/-innen ein vorübergeh­ender Aufenthalt­stitel gewährt wird und dass insbesonde­re für jugendlich­e Asylsuchen­de der Zugang zum Arbeitsmar­kt verbessert wird“, steht im Vorarlberg­er Regierungs­pakt. Im Regierungs­pakt der türkis-blauen Bundesregi­erung findet sich nichts dergleiche­n. Die Abschiebun­g jugendlich­er asylsuchen­der Lehrlinge, wie sie auf Betreiben der Bundesregi­erung vorgenomme­n wird, ist vom Vorarlberg­er Modell meilenweit entfernt.

Und auch vom Salzburger Modell, das sich im schwarz-grün-pinken Regierungs­programm so liest: „Wir wollen Lehrlinge mit Flucht- oder Migrations­hintergrun­d in ihrer schulische­n, sprachlich­en und betrieblic­hen Ausbildung unterstütz­en.“

Es müsste halt der Bund mitspielen.

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BILD: SN/APA/SEBASTIAN WILLNOW Dass Illegale außer Landes gebracht werden müssen, steht außer Frage. Doch warum Lehrlinge und andere Arbeitswil­lige abschieben, die wir dringend brauchen können?
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