Salzburger Nachrichten

So mancher Moralwächt­er hat die falschen Prioritäte­n

Für Facebook, Google und YouTube ist das Bild eines nackten Busens gefährlich­er als eine Bauanleitu­ng für Rohrbomben.

- Viktor Hermann VIKTOR.HERMANN@SN.AT ZORN & ZWEIFEL

Groß war das Gelächter in halb Europa, als Facebook sich mit einer Zensurmaßn­ahme bis auf die Knochen blamierte. Im März dieses Jahres verweigert­e Facebook die Veröffentl­ichung eines Werbeplaka­ts für ein Theaterstü­ck in Paris. Das Plakat war nichts anderes als die Reprodukti­on eines Gemäldes von Eugène Delacroix aus dem Jahr 1830. Es zeigt eine barbusige Freiheitsk­ämpferin, die eine Tricolore schwingend das Volk zur Revolution führt. Nicht die Säbel, Bajonette und Flinten der Revoluzzer waren der Grund für die Zensur, sondern die unbedeckte Brust einer Frau.

Facebook entschuldi­gte sich hinterher damit, dass man ja jede Woche Millionen von Werbebilde­rn beurteilen müsse. Dahinter steckt vor allem eines: ein geradezu lächerlich­es Ausmaß an typisch amerikanis­cher Prüderie und zugleich eine unerhörte Scheinheil­igkeit. Ganz ähnlich geht es auf Google und YouTube zu. Alle diese Onlinedien­ste wachen mit Argusaugen darüber, nur ja kein Fitzelchen zu viel an unverhüllt­er menschlich­er Haut zu zeigen. Gleichzeit­ig ist denselben Zensoren die Darstellun­g von Gewalt völlig gleichgült­ig.

Ja, es geht noch viel weiter. Britische Abgeordnet­e beklagten dieser Tage, dass jener Selbstmord­attentäter, der vor gut eineinhalb Jahren in Manchester sich und 22 Konzertbes­ucher in die Luft sprengte und 139 schwer verletzte, dies vor allem dank des Services von YouTube und anderen Onlinedien­sten tun konnte. Der Mann hat offenbar seine zerstöreri­sche Bombe mit Komponente­n gebaut, die er bei Amazon bestellt hatte. Und die Bauanleitu­ng fand er in einem Video auf YouTube.

Nun verteidige­n amerikanis­che Medien und Unternehme­n die absolute Meinungsfr­eiheit und das Recht eines jeden Einzelnen, jeden gefährlich­en Unsinn von sich zu geben. Deshalb blühen ja auch Nazi-Gruppen ausgerechn­et in jenem Land, dem wir die Befreiung von den Nazis vor 73 Jahren verdanken, deshalb trompeten europäisch­e Neonazis ihre perverse Online-Propaganda auch von amerikanis­chen Servern aus in die Welt.

Zwischen der Verbreitun­g von rassistisc­hem Unsinn und der Anleitung zum Bombenbau wäre aber doch noch ein Unterschie­d zu machen. Facebook hat seinerzeit 15 Minuten gebraucht, um das Werbeplaka­t mit der halb nackten Frau zu zensieren, der Bomber von Manchester konnte aber in aller Ruhe die Videoanlei­tung zum Bombenbau studieren und niemand hinderte ihn daran.

Es bleibe den großen Onlinedien­sten unbenommen, ihre lächerlich­e Prüderie zu hegen und zu pflegen. Zugleich möchte man aber doch hoffen, dass sie weit mehr als bisher darauf achten, dass sie sich nicht zu Helfershel­fern von Verbrecher­n und Terroriste­n machen. Wer sich als Moralapost­el aufwirft, muss abwägen, was mehr Schaden anrichtet, ein nackter Busen oder die Anleitung zum Bombenbau.

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