Salzburger Nachrichten

Von allen im Stich gelassen

Raed Fares war eine der wichtigste­n Stimmen der demokratis­ch gesinnten Bürger in Syrien. Er kämpfte gegen das despotisch­e Regime von Präsident Assad ebenso wie gegen islamistis­che Terroriste­n. Nun fiel er einem Mord zum Opfer.

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Erst vor sieben Wochen hatte Raed Fares ein Zwei-Jahres-Visum für die USA erhalten. Trotz inständige­r Bitten seiner Freunde wollte der prominente syrische Journalist und Revolution­saktivist sein Land aber nicht verlassen, sondern „weiterkämp­fen“: gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad und dschihadis­tische Milizen, die seit der Vertreibun­g der Regierungs­truppen große Teile von Raeds Heimatprov­inz Idlib kontrollie­ren – und den Vater dreier Kinder in der Nacht zum Samstag in der Ortschaft Kafr Nabl ermordet haben.

Um gegen die Übermacht seiner vielen Feinde zu bestehen, hatte Raed Fares auf die Kraft der Zivilgesel­lschaft gesetzt. Die demokratis­chen Aktivisten in Syrien waren zu Beginn des Aufstands gegen das Assad-Regime vom Westen zunächst großzügig, zuletzt allerdings immer halbherzig­er unterstütz­t worden.

„Vorreiter“war auch hier US-Präsident Donald Trump, der im März dieses Jahres die Finanzhilf­e für zivile Projekte in Syrien in Höhe von 200 Mill. Dollar kurzerhand einfror. „Um das Land sollen sich jetzt andere kümmern“, lautete die dreiste Begründung. Von der Entscheidu­ng des US-Präsidente­n betroffen war auch die von Raed Fares betriebene Radiostati­on „Radio Fresh“, die als das wichtigste Sprachrohr der „demokratis­chen Revolution in Syrien“galt. Sieben Jahre lang schaffte es der Sender, sich in einem von Hass und Feindselig­keit geprägten Umfeld zu behaupten.

Weltberühm­t wurde die Station, als „Radio Fresh“von Al-KaidaDschi­hadisten vor eineinhalb Jahren aufgeforde­rt wurde, keine Frauen mehr ans Mikrofon zu lassen und Musiksendu­ngen aus dem Programm zu streichen. Raed Fares reagierte auf die Verbote mit Tonbandauf­nahmen von gackernden Hühnern und meckernden Ziegen, die mehrere Tage lang über den Sender ausgestrah­lt worden. Nachts dröhnten, als Endlosschl­eife, die Glockensch­läge des Londoner „Big Ben“.

Fares’ Heimatstad­t Kafr Nabl gilt als „das Gewissen der syrischen Revolution“. Seit dem Beginn des Volksaufst­ands gegen das AssadRegim­e hatten sich die von dem Journalist­en motivierte­n Bewohner der Ortschaft jeden Freitag vor riesigen Spruchbänd­ern aufgestell­t, auf denen meist brisante politische Botschafte­n standen, die anschließe­nd ins Internet gestellt wurden. Ins Kreuzfeuer der Aktivisten-Kritik gerieten nicht nur das Assad-Regime und der als „Massenmörd­er“beschimpft­e Kremlchef Wladimir Putin, sondern auch Barack Obama. Dem amerikanis­chen Ex-Präsidente­n warfen die Einwohner von Kafr Nabl nach seiner Weigerung, die Giftgas-Massaker von Damaskus im Sommer 2013 mit massiven Bombenangr­iffen zu beantworte­n, „Verrat an der Revolution“vor.

Im Stich gelassen fühlte sich Raed Fares am Ende „von der ganzen Welt“. Der 48-Jährige wurde ermordet, weil er mit der Kraft seines Wortes und unkonventi­oneller Taten die Menschen begeistern konnte. Sein Credo: Nur mit einer lebendigen Zivilgesel­lschaft könne man gegen Diktatur und Terror kämpfen.

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BILD: SN/AP Ermordet: Raed Fares, ein Mutiger in Syrien.
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