Hier wird geklotzt und nicht gekleckert
FLORIAN OBERHUMMER SALZBURG. Thomas Bernhard, der gute alte Übertreibungskünstler, bezeichnete seine Heimatstadt Salzburg bekanntlich als „architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden“. Das Musical „Meine Stille Nacht“in der Felsenreitschule setzt dort an: In einer Schlüsselszene verteidigen dort traditionsbewahrende Pressevertreter ihr schönes Salzburg singend und schuhplattelnd. Elisabeth, eine junge Festivalmacherin, hat mit ihren Ideen keine Chance. Jeglicher Modernisierungswille muss in dieser Stadt naturgemäß scheitern.
Autorin Hannah Friedman und ihre Liedtexter Siedah Garrett, Michael Weiner und Alan Zachary wählen das Mittel der Satire nicht nur, um das Zerrbild einer stocksteifen Salzachstadt darzustellen, wie sie kulturell und gesellschaftspolitisch etwa der Karajan-Waldheim-Zeit in den 1980er-Jahren entspricht. Auch der vorweihnachtliche Konsumwahn in den USA wird in grellen Farben ausgemalt. In der Stahlstadt Pittsburgh fristet Justin sein Dasein. Der Mann ist 30, arbeitet im familiären Elektrogroßhandel und hängt jugendlichen Gefühlen für eine Austauschschülerin aus Österreich nach. Irgendwann setzt er sich in den Flieger des MusicalSponsors AUA und spürt sein Herzblatt von ehedem vor Ort auf.
Mit dieser Ausgangsposition lässt sich eine Geschichte in Gang setzen, wie sie in „RomComs“Massen in die Großraumkinos lockt. Das Genre der Romantic Comedy spannt möglichst unrealistische Liebesgeschichten in die Pointenschleuder. Diese harmlose Unterhaltung funktioniert auch auf der Musical-Bühne.
John Debney hat die Musik für dieses Landestheater-Auftragswerk komponiert. Der Filmmusik-Spezialist ist zwar kein Ennio Morricone, aber er schreibt solide Songs fürs Herz. Dass diese dort auch ankommen, dafür sorgt das auf Uptempo- und Balladenterrain gleichermaßen trittsichere Mozarteumorchester unter Robin Davis. Die Qualität auf der Bühne ist nicht minder hoch: Milica Jovanović und Dominik Hees, zwei Musical-Vollprofis, verkörpern Elisabeth und Justin mit genre-immanenter Kombination aus tänzerischer und stimmlicher Brillanz. Jovanovićs Timbre entfaltet in der Höhe opernhafte Farben, während der Rocksänger Hees die Power-Stimme einbringt. Das Happy End für die beiden Sympathieträger ist nur eine Frage der Zeit.
Die knapp drei Stunden Spieldauer bis dorthin füllt Regisseur Andreas Gergen mit allerlei inszenatorischen Ideen. Der frühere Landestheater-Opernchef, der längst in Mitteleuropas Musical-Metropolen reüssiert, weiß, wie die Distanzen in der Felsenreitschule zu überbrücken sind. Die Verwandlung der filmisch gedachten Story auf die LiveBühne wird durch reichlich Tempo, Live-Videoprojektionen des Duos fettfilm und von Kim Duddy choreografierte Ablenkungsmanöver der Hundertschaft an Chorsängern und Schauspielern möglich. Hier wird geklotzt und nicht gekleckert!
Weil die Liebesgeschichte schnell erzählt ist, baut das Leading Team eine Nebenhandlung ein: Justin und Elisabeth müssen eine Band zusammenstellen – und werden bei sozial Schwächeren fündig. Hier weist dieses Stück über die Hollywood-Konventionen hinaus: Die Keyboarderin VI (Ivan Vlatković) entpuppt sich als Transgender und sorgt für Conchita-Feeling in der bunt durchgemischten Formation.
Eine Figurenentwicklung wird einzig Elisabeths Mutter zugestanden: Bettina Mönch berührt in der Rolle der Baronin, als sie ihre frühere Liebe zu einem Künstler offenbart. Sascha Oskar Weis fühlt sich in der Rolle des Hans Brunner pudelwohl. Der Trachten-Ungustl zitiert FPÖ-Wahlkampfsprüche, würde am liebsten seine Frau an den Herd ketten und die bunte Band abschieben lassen.
„Mehr Rhythmus, weniger Gedisse!“: Diesen Leitspruch aus einer Bandprobe löst das Stück selbst nicht ein. Die Adventsingen und -spiele der Stadt werden gehörig durch den Kakao gezogen. Der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor tritt als Schafherde auf – eine bitterböse Karikatur des beliebten Hirtenkinds.
Zuletzt siegt aber die Harmonie, und die schönste Melodie des Abends erklingt: Der touristische Jahresregent „Stille Nacht“, hier mit orchestralem Hollywood-Schmalz angereichert. Die Standing Ovations waren dieser Produktion dennoch sicher. Musical: