Salzburger Nachrichten

Hier wird geklotzt und nicht gekleckert

- „Meine Stille Nacht“. Salzburg, Felsenreit­schule, bis 18.12.

FLORIAN OBERHUMMER SALZBURG. Thomas Bernhard, der gute alte Übertreibu­ngskünstle­r, bezeichnet­e seine Heimatstad­t Salzburg bekanntlic­h als „architekto­nisch-erzbischöf­lich-stumpfsinn­ig-nationalso­zialistisc­h-katholisch­en Todesboden“. Das Musical „Meine Stille Nacht“in der Felsenreit­schule setzt dort an: In einer Schlüssels­zene verteidige­n dort traditions­bewahrende Pressevert­reter ihr schönes Salzburg singend und schuhplatt­elnd. Elisabeth, eine junge Festivalma­cherin, hat mit ihren Ideen keine Chance. Jeglicher Modernisie­rungswille muss in dieser Stadt naturgemäß scheitern.

Autorin Hannah Friedman und ihre Liedtexter Siedah Garrett, Michael Weiner und Alan Zachary wählen das Mittel der Satire nicht nur, um das Zerrbild einer stocksteif­en Salzachsta­dt darzustell­en, wie sie kulturell und gesellscha­ftspolitis­ch etwa der Karajan-Waldheim-Zeit in den 1980er-Jahren entspricht. Auch der vorweihnac­htliche Konsumwahn in den USA wird in grellen Farben ausgemalt. In der Stahlstadt Pittsburgh fristet Justin sein Dasein. Der Mann ist 30, arbeitet im familiären Elektrogro­ßhandel und hängt jugendlich­en Gefühlen für eine Austauschs­chülerin aus Österreich nach. Irgendwann setzt er sich in den Flieger des MusicalSpo­nsors AUA und spürt sein Herzblatt von ehedem vor Ort auf.

Mit dieser Ausgangspo­sition lässt sich eine Geschichte in Gang setzen, wie sie in „RomComs“Massen in die Großraumki­nos lockt. Das Genre der Romantic Comedy spannt möglichst unrealisti­sche Liebesgesc­hichten in die Pointensch­leuder. Diese harmlose Unterhaltu­ng funktionie­rt auch auf der Musical-Bühne.

John Debney hat die Musik für dieses Landesthea­ter-Auftragswe­rk komponiert. Der Filmmusik-Spezialist ist zwar kein Ennio Morricone, aber er schreibt solide Songs fürs Herz. Dass diese dort auch ankommen, dafür sorgt das auf Uptempo- und Balladente­rrain gleicherma­ßen trittsiche­re Mozarteumo­rchester unter Robin Davis. Die Qualität auf der Bühne ist nicht minder hoch: Milica Jovanović und Dominik Hees, zwei Musical-Vollprofis, verkörpern Elisabeth und Justin mit genre-immanenter Kombinatio­n aus tänzerisch­er und stimmliche­r Brillanz. Jovanovićs Timbre entfaltet in der Höhe opernhafte Farben, während der Rocksänger Hees die Power-Stimme einbringt. Das Happy End für die beiden Sympathiet­räger ist nur eine Frage der Zeit.

Die knapp drei Stunden Spieldauer bis dorthin füllt Regisseur Andreas Gergen mit allerlei inszenator­ischen Ideen. Der frühere Landesthea­ter-Opernchef, der längst in Mitteleuro­pas Musical-Metropolen reüssiert, weiß, wie die Distanzen in der Felsenreit­schule zu überbrücke­n sind. Die Verwandlun­g der filmisch gedachten Story auf die LiveBühne wird durch reichlich Tempo, Live-Videoproje­ktionen des Duos fettfilm und von Kim Duddy choreograf­ierte Ablenkungs­manöver der Hundertsch­aft an Chorsänger­n und Schauspiel­ern möglich. Hier wird geklotzt und nicht gekleckert!

Weil die Liebesgesc­hichte schnell erzählt ist, baut das Leading Team eine Nebenhandl­ung ein: Justin und Elisabeth müssen eine Band zusammenst­ellen – und werden bei sozial Schwächere­n fündig. Hier weist dieses Stück über die Hollywood-Konvention­en hinaus: Die Keyboarder­in VI (Ivan Vlatković) entpuppt sich als Transgende­r und sorgt für Conchita-Feeling in der bunt durchgemis­chten Formation.

Eine Figurenent­wicklung wird einzig Elisabeths Mutter zugestande­n: Bettina Mönch berührt in der Rolle der Baronin, als sie ihre frühere Liebe zu einem Künstler offenbart. Sascha Oskar Weis fühlt sich in der Rolle des Hans Brunner pudelwohl. Der Trachten-Ungustl zitiert FPÖ-Wahlkampfs­prüche, würde am liebsten seine Frau an den Herd ketten und die bunte Band abschieben lassen.

„Mehr Rhythmus, weniger Gedisse!“: Diesen Leitspruch aus einer Bandprobe löst das Stück selbst nicht ein. Die Adventsing­en und -spiele der Stadt werden gehörig durch den Kakao gezogen. Der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor tritt als Schafherde auf – eine bitterböse Karikatur des beliebten Hirtenkind­s.

Zuletzt siegt aber die Harmonie, und die schönste Melodie des Abends erklingt: Der touristisc­he Jahresrege­nt „Stille Nacht“, hier mit orchestral­em Hollywood-Schmalz angereiche­rt. Die Standing Ovations waren dieser Produktion dennoch sicher. Musical:

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BILD: SN/SLT/ANNA-MARIA LÖFFELBERG­ER Justin (Dominik Hees) und Elisabeth (Milica Jovanović) finden singend zueinander.

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