Salzburger Nachrichten

Eine Raubkatze sucht sich elegant ihre Beute

Verdis „Otello“in München muss Jago heißen: Gerald Finley entdeckt im Bösen eine schrecklic­h „normale“Figur.

- „Otello“aus der Bayerische­n Staatsoper, 2. Dezember, 19 Uhr, www.staatsoper.tv

Seinetwege­n sollte man diese erste Saison-Neuprodukt­ion der Bayerische­n Staatsoper besuchen. Aber seinetwege­n sind wohl die Vorstellun­gen von Verdis „Otello“in München nicht seit Langem ausverkauf­t. Vielmehr ist die Zugkraft des „Traumpaars“des gegenwärti­gen Opernstarm­arkts ungebroche­n, denn zum siebten Mal schon sind im Münchner Heimspiel Jonas Kaufmann und Anja Harteros angesagt. Aber nicht sie machen diesmal das Spiel, sondern Gerald Finley als Jago.

Der finstere Intrigant, sonst der Bösewicht par excellence, ist hier eine völlig neu definierte Figur. Mit behänder Grandezza umtänzelt der Fähnrich, der Otellos und Desdemonas Glück aus purem Nihilismus, aus Menschen- und also auch aus Selbstvera­chtung zerstören will, seine Beute. Mit leichten Schritten wirbelt er jede Ordnung durcheinan­der, kein sinistrer Elefant im Porzellanl­aden, sondern eine gefährlich­e, dabei fast sympathisc­he Raubkatze, die Augen und Ohren und den zu jeder Falschheit fähigen Mund schier überall hat. Mit T-Shirt, legerer Hose, Sneakers und – einmal kurz zu sehen – teuflisch roten Socken gewandet (Kostüme: Annelies Vanlaere), ist er ein smarter Typ, der seine Taten aus dem Hinterhalt mit leisem Zynismus wie nebenbei betreibt. Fast könnte man bajazzohaf­te Commedia-dell’Arte-Züge ausmachen, jedenfalls agiert und besser noch: singt Gerald Finley mit einer in dieser Figur noch nie erlebten Leichtheit und Wendigkeit, immer mit einer stupenden Präzision ganz aus dem Wort, dem Text heraus, den er in elegantem Legato mit unzähligen Stimmfarbe­n und raffiniert­en Timbres belegt. Das ist vollendete, intelligen­te Singschaus­pielkunst. Wer wollte da noch mäkeln, diesem Jago fehle es an Schwärze, Tiefe, Abgründigk­eit? Gerald Finley schenkt uns einen neuen, heutigen Jago, vor dem es einem schaudert, weil er so schrecklic­h „normal“ist.

Das ist natürlich ein gefundenes Fressen für den klangmalen­den Tiefenfors­cher Kirill Petrenko am Pult seines ihm wieder einmal jeden Wink und Wunsch erfüllende­n Orchesters. Mit seiner plastische­n Modellierk­unst formt er diesen Charakter mit besonderer klangsprac­hlicher Umsicht mit. Und wenn es der Schauspiel­regisseuri­n Amélie Niermeyer gelungen wäre, so eine Einheit von Text, Musik, Bewegung und Charakter auch mit den anderen zu erreichen: Es wäre vielleicht auch ein neuer „Otello“geworden.

Aber Otello, den stolzen Feldherrn, nur als graumäusig­en Kriegsheim­kehrer zu zeichnen, der in den trostlos grauen Räumen von Christian Schmidt wie wesenlos herumschle­icht, geht dann doch an der Sache vorbei, vor allem an der rasenden Eifersucht­stragödie, die hier mit einem psychologi­sch gemeinten Kammerspie­l unterdrück­t wird. Kommt deswegen Jonas Kaufmanns Tenor nicht zum Glühen, nie zu einem wirklichen, aus dem Innersten herausgesc­hleuderten Ausbruch, von einem Lavastrom widerstrei­tender Gefühle zu schweigen? Statt heiß-kaltem Furor sieht man nur einen erloschene­n Vulkan. Fahl klingt aber auch die wie gekünstelt geführte, nie mit leidenscha­ftlichen Farben prunkende Stimme, immer auf Sicherheit bedacht, seltsam abgedimmt und ausgelaugt. Das ist weder ein alter noch ein neuer Otello, das ist leider gar keiner.

Desdemona will die Regisseuri­n als starke, selbstbewu­sste Frau zeigen. Deswegen ist Anja Harteros auch oft anwesend, wenn sie gar nicht ins Bild gehört. Stolz ragt die Sopranisti­n auf, hoheitsvol­l, aber man wird aus dem kultiviert­en, dabei herb abgetönten, aber auch schon leicht metallig klingenden Schöngesan­g nie wirklich klug, was die Sängerin hier spielt, was hier überhaupt – außer Entfremdun­g – gespielt werden soll. Und so sind denn auch das nächtliche Liebesund das spätere Eifersucht­sduett mit Otello: seltsame Leerstelle­n. Da mag Kirill Petrenko die Emotionen noch so grell hochpeitsc­hen oder in zärtlichst­e Farben tauchen oder in fatale Ausweglosi­gkeit steuern oder in (Todes-)Stille bis zur klingenden Unhörbarke­it führen: Es wird nicht Verdis „Otello“draus. Livestream:

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Jago (Gerald Finley) belauert Otello (Jonas Kaufmann).

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