Eine Raubkatze sucht sich elegant ihre Beute
Verdis „Otello“in München muss Jago heißen: Gerald Finley entdeckt im Bösen eine schrecklich „normale“Figur.
Seinetwegen sollte man diese erste Saison-Neuproduktion der Bayerischen Staatsoper besuchen. Aber seinetwegen sind wohl die Vorstellungen von Verdis „Otello“in München nicht seit Langem ausverkauft. Vielmehr ist die Zugkraft des „Traumpaars“des gegenwärtigen Opernstarmarkts ungebrochen, denn zum siebten Mal schon sind im Münchner Heimspiel Jonas Kaufmann und Anja Harteros angesagt. Aber nicht sie machen diesmal das Spiel, sondern Gerald Finley als Jago.
Der finstere Intrigant, sonst der Bösewicht par excellence, ist hier eine völlig neu definierte Figur. Mit behänder Grandezza umtänzelt der Fähnrich, der Otellos und Desdemonas Glück aus purem Nihilismus, aus Menschen- und also auch aus Selbstverachtung zerstören will, seine Beute. Mit leichten Schritten wirbelt er jede Ordnung durcheinander, kein sinistrer Elefant im Porzellanladen, sondern eine gefährliche, dabei fast sympathische Raubkatze, die Augen und Ohren und den zu jeder Falschheit fähigen Mund schier überall hat. Mit T-Shirt, legerer Hose, Sneakers und – einmal kurz zu sehen – teuflisch roten Socken gewandet (Kostüme: Annelies Vanlaere), ist er ein smarter Typ, der seine Taten aus dem Hinterhalt mit leisem Zynismus wie nebenbei betreibt. Fast könnte man bajazzohafte Commedia-dell’Arte-Züge ausmachen, jedenfalls agiert und besser noch: singt Gerald Finley mit einer in dieser Figur noch nie erlebten Leichtheit und Wendigkeit, immer mit einer stupenden Präzision ganz aus dem Wort, dem Text heraus, den er in elegantem Legato mit unzähligen Stimmfarben und raffinierten Timbres belegt. Das ist vollendete, intelligente Singschauspielkunst. Wer wollte da noch mäkeln, diesem Jago fehle es an Schwärze, Tiefe, Abgründigkeit? Gerald Finley schenkt uns einen neuen, heutigen Jago, vor dem es einem schaudert, weil er so schrecklich „normal“ist.
Das ist natürlich ein gefundenes Fressen für den klangmalenden Tiefenforscher Kirill Petrenko am Pult seines ihm wieder einmal jeden Wink und Wunsch erfüllenden Orchesters. Mit seiner plastischen Modellierkunst formt er diesen Charakter mit besonderer klangsprachlicher Umsicht mit. Und wenn es der Schauspielregisseurin Amélie Niermeyer gelungen wäre, so eine Einheit von Text, Musik, Bewegung und Charakter auch mit den anderen zu erreichen: Es wäre vielleicht auch ein neuer „Otello“geworden.
Aber Otello, den stolzen Feldherrn, nur als graumäusigen Kriegsheimkehrer zu zeichnen, der in den trostlos grauen Räumen von Christian Schmidt wie wesenlos herumschleicht, geht dann doch an der Sache vorbei, vor allem an der rasenden Eifersuchtstragödie, die hier mit einem psychologisch gemeinten Kammerspiel unterdrückt wird. Kommt deswegen Jonas Kaufmanns Tenor nicht zum Glühen, nie zu einem wirklichen, aus dem Innersten herausgeschleuderten Ausbruch, von einem Lavastrom widerstreitender Gefühle zu schweigen? Statt heiß-kaltem Furor sieht man nur einen erloschenen Vulkan. Fahl klingt aber auch die wie gekünstelt geführte, nie mit leidenschaftlichen Farben prunkende Stimme, immer auf Sicherheit bedacht, seltsam abgedimmt und ausgelaugt. Das ist weder ein alter noch ein neuer Otello, das ist leider gar keiner.
Desdemona will die Regisseurin als starke, selbstbewusste Frau zeigen. Deswegen ist Anja Harteros auch oft anwesend, wenn sie gar nicht ins Bild gehört. Stolz ragt die Sopranistin auf, hoheitsvoll, aber man wird aus dem kultivierten, dabei herb abgetönten, aber auch schon leicht metallig klingenden Schöngesang nie wirklich klug, was die Sängerin hier spielt, was hier überhaupt – außer Entfremdung – gespielt werden soll. Und so sind denn auch das nächtliche Liebesund das spätere Eifersuchtsduett mit Otello: seltsame Leerstellen. Da mag Kirill Petrenko die Emotionen noch so grell hochpeitschen oder in zärtlichste Farben tauchen oder in fatale Ausweglosigkeit steuern oder in (Todes-)Stille bis zur klingenden Unhörbarkeit führen: Es wird nicht Verdis „Otello“draus. Livestream: