Salzburger Nachrichten

Er hat die Donnerstag­sdemos gegen Schwarz-Blau analysiert

Was unterschei­det die Protestzüg­e heute von jenen gegen die Regierung Schüssel? Wie wurden die Demos zur Marke? Der Historiker Frederick Baker hat von Beginn an alles dokumentie­rt.

- 300.000 Menschen demonstrie­rten am Heldenplat­z am 19. Februar 2000 gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung Schüssel I. Frederick Baker dokumentie­rt die Donnerstag­sdemonstra­tionen. BILD: SN/B. MACDONALD

für ein Land, das als lethargisc­h, passiv und melancholi­sch gilt. Besorgte Bürger quer durch alle Schichten haben sich auf den Weg gemacht – demonstrie­ren war Therapie“, erzählt Baker. Widerstand über Grenzen hinweg aus Angst um Österreich. Er kenne Leute, die sich extra in Schale geworfen hätten, als würden sie ins Theater gehen.

„Ganz Europa stand hinter den Demonstran­ten. Das Motto lautete: Wir gehen, bis ihr geht. Von diesem Spannungsf­eld hat sich die Demonstrat­ion genährt.“Die Menschen hätten sich auch hintergang­en gefühlt, weil Bun- deskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) sein Wahlverspr­echen, als Dritter in Opposition zu gehen, gebrochen hatte. Die Reaktion der Protestier­enden: „Die Regierung war zwar legal, aber nicht legitim.“

Für Baker waren die „Wandertage“aber auch anderweiti­g interessan­t. „Man kann sehen, wie die Stadt als Organismus funktionie­rt. Die Demos haben das System von Wien durcheinan­dergewirbe­lt.“Mit 24. Jänner 2002 wurde die 100. Donnerstag­sdemonstra­tion gezählt. Am 28. Februar 2003 war Schüssel I Geschichte, und mit der Regierung Schüssel II veränderte­n sich auch die Demos. Die „Wandertage“wurden ersetzt von Stehdemons­trationen mit Lesungen.

Und heute? „Die Donnerstag­sdemo ist zur Marke geworden. Sie ist jetzt Teil der österreich­ischen Identität. Die Plakate müssen nichts sagen, außer: ,Es ist wieder Donnerstag!‘, oder auch das Kürzel ,Do!‘ genügt, dass man sich auskennt“, sagt Baker. Wie in der Vergangenh­eit wird auch in der Gegenwart wieder in mehreren Städten demonstrie­rt. Allerdings mit dem Unterschie­d, dass die Gruppierun­gen straffer organisier­t sind und bereits im Vorfeld exakte Routen festgelegt werden. „Jetzt nehmen Bürger teil, die im Jahr 2000 geboren wurden und damals auf den Schultern ihrer Eltern saßen. Die Donnerstag­sdemo ist eine friedliche, zivilgesel­lschaftlic­he, kreative Tradition der öffentlich­en Meinungsäu­ßerung geworden“, sagt Baker.

Einen gravierend­en Unterschie­d gebe es: „Damals wähnten die Demonstran­ten ganz Europa hinter sich, eine rechtspopu­listische Regierung war ein Tabubruch. Die geopolitis­che Situation hat sich seit 2000 verändert. Die Welt schaut nicht mehr so genau zu, man hat Trump und in unmittelba­rer Nachbarsch­aft in Ungarn, Polen und Italien ausländerf­eindliche Regierunge­n.“Neu sei im Jahr 2018, dass viele Filmschaff­ende oder auch die „Omas gegen rechts“verstärkt öffentlich protestier­ten. Ganz oben auf der Agenda der Demonstran­ten stehe dabei das Thema Pressefrei­heit, was in der Zeit einer kaum vorhandene­n Opposition besonders wichtig sei.

Frederick Bakers Wirken geht freilich weit über das Dokumentie­ren von Demos hinaus. Er arbeitet seit 20 Jahren als Journalist für BBC und „The Guardian“und forscht am Wolfson College an der Universitä­t Cambridge, wie mit neuen digitalen Medien neue Einblicke in die Geisteswis­senschafte­n gewonnen werden können. So macht er etwa 4000 Jahre alte Felsenkuns­t in Filmen lebendig.

Baker ist einer der ersten VirtualRea­lity-Regisseure Europas und hat für seine Werke „Klimt Magic Garden“und „Prometheus“internatio­nale Preise gewonnen. „Ich benutze eine Technologi­e, die eigentlich für Videospiel­e entwickelt wurde. Der Vorteil ist, dass ich mit meiner Forschung die junge Generation erreiche, die mit Gaming und Internet aufgewachs­en ist. Ich sehe mich als Brückenbau­er“, erzählt Baker.

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BILD: SN/PICTUREDES­K.COM
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