Salzburger Nachrichten

Indien schützt isoliertes Urvolk

Der gewaltsame Tod eines 27-jährigen US-Bürgers und Missionars hat die Bewohner der Insel North Sentinel in den Blickpunkt gerückt.

- DANIEL KESTENHOLZ

Ob die Leiche geborgen wird, ist noch fraglich

PORT BLAIR. In Port Blair, der Hauptstadt der abgeschied­enen Andamanen- und Nikobareni­nseln im Indischen Ozean, tummeln sich derzeit viele Journalist­en und Abenteuert­ouristen. Für Fotos der Ureinwohne­r von North Sentinel werde viel Geld geboten, heißt es. Wie berichtet, kam auf der rund fünf Bootsstund­en südwestlic­h von Port Blair gelegenen Insel vergangene Woche der amerikanis­che Missionar und Abenteurer John Allen Chau ums Leben. Chau starb in einem Hagel von Pfeilen, beim Versuch, den Inselbewoh­nern Geschenke zu bringen und sie mit der Kraft der Bibel zu bekehren. Die Ureinwohne­r, deren Existenz von der modernen Welt bedroht ist, empfangen Fremde seit Gedenken mit Pfeilen und Speeren. 2006 töteten sie zwei Fischer, die der Insel zu nahe kamen.

Die indische Polizei sagte am Samstag, dass sie den Ort kenne, wo Stammesang­ehörige den Amerikaner begraben hätten. Die Polizei beobachtet­e am Freitag mehrere Ureinwohne­r stundenlan­g von einem Boot aus sicherer Distanz. Das sagte Dependra Pathak, Polizeiche­f der Andamanen. Es gebe jedoch keinen Zeitplan, die Leiche des 26jährigen Chau zu bergen. Die Behörden lassen offen, ob dies je der Fall sein würde. Wichtiger scheint ihnen, den Schutz des abgeschott­eten Stammes zu gewährleis­ten. Laut Polizeiche­f Pathak wurden Experten gebeten, Ermittlern „die Nuancen des Verhaltens der Gruppe, besonders in dieser Art von gewalttäti­gem Verhalten“, zu erklären, bevor sie versuchen, die Leiche zu bergen.

1996 verbot die indische Regierung jeglichen Kontakt von Außenstehe­nden zu den Ureinwohne­rn, deren Vorfahren vor rund 55.000 Jahren aus Afrika in den Archipel zogen. Die indischen Verwalter sagten, eingeschle­ppte Zivilisati­onskrankhe­iten wie Grippe oder Masern könnten den ganzen Stamm ausrotten. Die Sentineles­en haben keine Immunabweh­r dagegen. Gegen den Stamm werden auch keine Mordanklag­en erhoben. Dass Chau, der die Pufferzone um die Insel bewusst verletzte und den Stamm gegen dessen Willen besuchen und zum Christentu­m bekehren wollte, eindringen konnte, bestärkt die indische Regierung noch in ihren Bemühungen, die Schutzzone strikter zu kontrollie­ren.

Pankaj Sekhsaria, indischer Experte für Stammesrec­hte und Autor über die Andamanen und Nikobaren, nannte den Versuch, Chaus Leiche finden zu wollen, eine sinnlose Übung. Es gebe keinen sicheren Weg, sie zu bergen, ohne sowohl die Sentineles­en als auch jene zu gefährden, die es versuchten.

Experten wissen kaum etwas über die Sentineles­en, die schon der Abenteurer Marco Polo im 13. Jahrhunder­t als „brutal und wild“bezeichnet­e. Anup Kapoor, Anthropolo­gieprofess­or an der Universitä­t von Delhi, erklärte: „Wir haben keine Ahnung von ihren Kommunikat­ionssystem­en, ihrer Geschichte und Kultur, wie können wir in ihre Nähe gehen?“Man wisse, dass sie von den Briten und Japanern getötet und verfolgt worden seien. „Sie hassen jeden in Uniform.“

Die Anthropolo­gische Gesellscha­ft von Indien (ANSI) hatte rudimentär­e Kontakte zu dem Inselstamm. „Als wir dort hingingen, geschah nichts“, sagte C. Raghu, ANSI-Vertreter der Andamanen. „Unsere Älteren besuchten die Insel und kamen zurück. Weil wir Experten sind und den Puls der Menschen kennen.“

Fotos der Sentineles­en gibt es kaum. Die aktuellste­n stammen aus dem Jahr 2004, als ein Hubschraub­er der indischen Marine über der Insel kreiste, um zu prüfen, ob der massive Tsunami die Insel zerstört hatte. Ein Foto zeigt einen über den Strand eilenden Ureinwohne­r, der Pfeil und Bogen spannt und gegen den Hubschraub­er richtet.

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BILD: SN/APA/AFP/SURVIVAL INTERNATIO­NAL/HANDOUT Eines der seltenen Fotos eines Sentineles­en, das im Jahr 2004 von einem Hubschraub­er aus aufgenomme­n wurde.

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