Die Regierung hatte leichte Gegner
Über das erste Jahr der neuen Regierung wurde viel geschrieben. Aber wie sieht eigentlich die Arbeitsbilanz der Opposition aus?
Dass der Bundespräsident nicht die Regierung, sondern die Opposition rügt, kommt eher selten vor. Heuer im Juli sah sich Alexander Van der Bellen aber dazu veranlasst, öffentlich anzumerken, dass es für die Oppositionsparteien „an der Zeit wäre, ihre Rolle zu finden“. Und dass es nicht die Aufgabe des Bundespräsidenten sei, „diese Lücke“auszufüllen.
Tatsächlich war die Arbeit der Opposition im ersten Jahr der neuen Regierung lückenhaft und ist es immer noch. Mehrmals musste Van der Bellen einspringen, um der Regierung ihre Grenzen aufzuzeigen. Auch die Gewerkschaften versuchten teilweise Opposition zu spielen, was aber momentan ein hartes Brot ist. Denn laut Umfragen ist die Mehrheit der Bevölkerung mit der Regierung und dem gegenwärtigen Zustand insgesamt zufrieden. Für die Opposition ist ein solches Meinungsbild klarerweise Gift. Was ist los mit SPÖ, Neos und der Liste Jetzt, den parlamentarischen Oppositionsparteien, und mit den Grünen, der außerparlamentarischen Opposition? Für die SPÖ war es ein Schock, nach zehn Kanzlerjahren (Gusenbauer, Faymann, Kern) im Dezember 2017 wieder auf die Oppositionsbank geschickt zu werden. Bald nach dem völlig missglückten Silberstein-Wahlkampf und der folgenden Wahlniederlage wurde klar, dass Ex-Kanzler Christian Kern nicht der ideale Oppositionschef ist. Trotzdem blieb er es neun Monate lang, ehe er eingestand, dass es nicht sein Stil sei, „mit dem Bihänder auf Leute einzudreschen“.
Das hatte man schon vorher bemerkt. Oft wochenlang nahm die SPÖ nicht an der tagespolitischen Debatte teil und ließ Regierungsvorhaben unkommentiert. Das lag nicht nur daran, dass sich der Parteichef in der Oppositionsrolle unwohl fühlte, sondern auch am Umstand, dass die Partei mit sich selbst beschäftigt war. Die Kompromisssuche in der intern umstrittenen Migrationsfrage erforderte ebenso ihre Aufmerksamkeit wie die Formulierung eines neuen Parteiprogramms und neuer Statuten.
Dazu kam, dass der traditionelle „starke Mann“der SPÖ – der Wiener Bürgermeister – im Frühjahr ein anderer wurde: Auf Michael Häupl folgte Michael Ludwig, und der Neue bringt vorerst noch nicht das nötige politische Gewicht auf die Waage, um in der SPÖ ein Machtwort zu sprechen.
So trat im Herbst nach dem schon lange erwarteten Abgang Kerns die ungewöhnliche Situation ein, dass der scheidende Parteichef nahezu im Alleingang seine Nachfolge regeln konnte. Nachdem die „logischen“Nachfolger – Doris Bures, Peter Kaiser und Hans Peter Doskozil – allesamt dankend abgelehnt hatten, kam Kerns Wunschkandidatin Pamela Rendi-Wagner zum Zug. Beim Parteitag in Wels wurde ihr ein freundlicher Empfang bereitet. Aber klar ist, dass die Quereinsteigerin, die erst seit zwei Jahren SPÖ-Mitglied ist, Zeit brauchen wird, um die Partei wieder zu einer schlagkräftigen Organisation zu formen, die zur Rückeroberung der Macht schreiten kann.
Offensichtlich richtet sich RendiWagners Arbeit derzeit hauptsächlich nach innen, denn mit öffentlichen Aussagen hält sie sich auffallend zurück. Der Regierung tut sie damit nicht weh. Für die SPÖ war 2018 unterm Strich ein verlorenes Jahr.
Einen noch größeren Schock als für die SPÖ brachte die Nationalratswahl im vorigen Oktober für die Grünen: Sie hatten zwar damit gerechnet, viele Stimmen zu verlieren – auch weil Peter Pilz mit einer eigenen Liste angetreten war. Aber ganz
aus dem Nationalrat zu fliegen, damit hatten die Grünen nicht gerechnet. Die Bundespartei besteht seither nur noch aus drei Mitarbeitern und dem grünen Urgestein Werner Kogler, der die Partei in dieser existenziellen Krise übernahm.
Jahr eins als außerparlamentarische Opposition stand demnach ganz im Zeichen der Selbstfindung und der Konsolidierung: In erster Linie finanziell, da die Partei nach zwei Wahlkämpfen (Bundespräsidentschaftsund Nationalratswahlkampf) tief im Minus stand und auch kein frisches Geld (Klubförderung etc.) nachfloss. Aber auch personell. Der Haken: Die Stellvertreter Koglers kennt außerhalb der Grünen kaum jemand. Und Kogler selbst will als Spitzenkandidat in die EU-Wahl ziehen und ist, sollte den Grünen der Wiedereinzug gelingen, dann in Brüssel.
Für die Regierung sind die Grünen also aktuell kein Faktor. Wenn Kritik kommt, dann von den Grünen in den Ländern, wo die Strukturen nach wie vor intakt sind. Doch auch da ist man teils mit sich selbst beschäftigt. Vor allem bei den Wiener Grünen, wo es gerade einen Führungswechsel gibt. Zusammengefasst heißt das: Der Weg zu neuer grüner Stärke ist steinig und noch sehr, sehr weit.
Der Start der Liste Pilz, seit Kurzem in „Jetzt“umbenannt, verlief mehr als holprig. Zwar hatte es der Grün-Abtrünnige Pilz mit seiner Namensliste in den Nationalrat (sieben Mandate) geschafft, kurz darauf zeigte sich aber wieder, was nicht nur die größte Stärke, sondern auch die größte Schwäche der Liste ist: Peter Pilz. Er stolperte kurz nach der Wahl über Vorwürfe der sexuellen Belästigung. Nach seinem – vorläufigen – Ausscheiden aus der ersten Reihe folgten interne Grabenkämpfe, offene Streitereien, Parteiaustritte und -rauswürfe. Seit Pilz nach Einstellen der Ermittlungen zurück im Nationalrat ist, macht er wieder das, was er am liebsten tut: in den beiden U-Ausschüssen – Eurofighter und BVT – die Zeugen in die Mangel zu nehmen. Doch auch das kann nicht darüber hinwegtäuschen: Pilz’ Liste ist eine One-Man-Show – nach ihm kommt wenig bis gar nichts. Daran hat auch das turbulente erste Jahr im Nationalrat wenig geändert.
Auch die Neos befinden sich in einer Umbruchphase. Die Pinken leisten vor allem im Parlament derzeit solide und sachliche Oppositionsarbeit. Mit parlamentarischen Anfragen, egal ob zur Kassenreform oder zur Affäre rund um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), halten sie die Regierung als Einzige auf Trab. Der Vorteil der Neos: Es gibt wenig bis keine Konflikte innerhalb der Partei, die über die Öffentlichkeit ausgetragen werden, wie das etwa bei der SPÖ oder der Liste Jetzt der Fall war.
Trotzdem müssen die Neos strampeln, um den Schwung der vergangenen Jahre nicht zu verlieren. Der Grund dafür ist der Abgang des ehemaligen Neos-Masterminds Matthias Strolz. Der Vorarlberger schaffte es mit Sagern à la „Flügel heben“spielend in die Schlagzeilen und konnte das Parlament als Bühne nutzen. Er fehlt den Neos, vor allem wenn es um die Präsenz in den Medien geht. Die neue Chefin, Beate Meinl-Reisinger, war zwar ausgiebig auf Vorstellungstour in den Bundesländern, zieht aber noch nicht so viel Rampenlicht auf sich, wie das bei ihrem Vorgänger der Fall war.
Doch spätestens im EU-Wahlkampf sollte die relativ junge Partei wieder mehr in Erscheinung treten. Immerhin ist das Thema EU eines der Steckenpferde der europafreundlichen Partei. Nachdem die bisherige Neos-Vertreterin im EUParlament, Angelika Mlinar, bei der kommenden Wahl Ende Mai 2019 nicht mehr antreten will, müssen die Neos dringend einen neuen Spitzenkandidaten finden. Der soll im März des kommenden Jahres parteiintern gewählt werden.
Fazit: Eine Opposition, die die Regierung vor sich hertreibt und die Themen vorgibt, war 2018 kaum zu erkennen. Worum die österreichische Politik sich dreht, bestimmten heuer ganz allein die Regierungsparteien und ihre PR-Experten. Erfolgreiche Oppositionspolitik sieht anders aus. zim, mars, pur