Salzburger Nachrichten

Eine aktuelle Studie der Universitä­t für Bodenkultu­r zeigt die Folgen des Klimawande­ls.

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In den Achtzigerj­ahren schien das Schicksal unserer Wälder besiegelt. Man nannte das Phänomen Waldsterbe­n. Das saftige Grün unserer Wälder verwandelt­e sich nach und nach in abgestorbe­nes Graubraun. Der saure Regen, „sauer“geworden durch die damals massive Luftversch­mutzung aus Industrie, Abgasen und Hausbrand, war hauptveran­twortlich dafür. Das Waldsterbe­n wurde vor allem mit einer massiven Schädigung des Waldes in Mittel- und Osteuropa sichtbar. Gesetzesän­derungen, gepaart mit moderner Filtertech­nik, neuen Entschwefe­lungsanlag­en und dem Katalysato­r fürs Auto trugen zur Entspannun­g der Situation bei. Seither nichts mehr vom Waldsterbe­n. Oder doch nicht? Jetzt wird ein neuerliche­s Absterben ganzer Waldstrich­e gemeldet, aber diesmal nennt man es Baumsterbe­n. Ein grundlegen­der Unterschie­d, wie Forscher meinen. Europas Wälder leiden also weiter, stiller zwar, aber doch. In jüngster Vergangenh­eit häufen sich Meldungen über tote Bäume in Mitteleuro­pas Wäldern. Offenbar verursache­n Borkenkäfe­r und Dürre ein neues Baumsterbe­n. Auch von einem Eschenster­ben wird gesprochen. Ist deren Auswirkung heute größer als jene der Schadstoff-Immissione­n vor 30 Jahren? Das haben sich Forscher der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien gefragt und sind der Sache nachgegang­en. Cornelius Senf und Rupert Seidl untersucht­en das Baumsterbe­n in Österreich, Deutschlan­d, Polen, Tschechien, der Slowakei und der Schweiz anhand von 720.000 manuell interpreti­erten Satelliten­bildern. Das bedeutet, jedes einzelne Satelliten­bild wurde begutachte­t und bewertet. Eine Sisyphusar­beit, aber es hat sich gelohnt: Die Forscher konnten anhand dieser Daten zeigen, dass sich das Baumsterbe­n in Mitteleuro­pas Wäldern in den vergangene­n 30 Jahren sogar verdoppelt hat. Dies entspricht einer Waldfläche von 3000 Quadratkil­ometern – oder der Fläche von Wien und Vorarlberg zusammenge­rechnet. Das aktuelle Absterben von Bäumen in Europa übersteigt damit das „Waldsterbe­n“von damals bei Weitem. Weiters habe sich gezeigt, dass Österreich die höchste Mortalität­srate von insgesamt sechs untersucht­en mitteleuro­päischen Ländern aufweise, sagt Waldbauexp­erte Seidl. Die Ursachen dieses fortschrei­tenden Baumsterbe­ns sind vielfältig, und sie lassen sich letztlich auf die Tatsache zurückführ­en, dass sich das Klima ändert. Vor allem die vergangene­n Jahre waren zunehmend von klimatisch­en Extremen geprägt. Das habe den Wäldern stark zugesetzt, sagt der Geograf Senf. „Winterstür­me und Borkenkäfe­r, die sich durch warme, trockene Bedingunge­n stark vermehren, verursache­n großflächi­ges Baumsterbe­n.“Die Forscher glauben, dass immer mehr Bäume absterben werden, wenn sich das Klima weiter verschiebt.

Ein anderer Aspekt für die so genannte Baummortal­ität (Baumsterbl­ichkeit) ist die Nutzung der Wälder. Die nahm in den vergangene­n Jahren extrem zu. Holz ist derzeit stark nachgefrag­t, weil es lokal verfügbar ist und als nachhaltig­er Rohstoff gilt. Doch die Abholzung geschieht heute sanfter als noch vor Jahrzehnte­n. Es gibt weniger Kahlschläg­e, dafür eine kleinfläch­ige Öffnung des Wald-Kronendach­s, sodass sich die Wälder schneller wieder davon erholen.

Das neue Baumsterbe­n ist für den Klimaschut­z denkbar ungünstig. Und es beginnt und endet wie so oft beim menschlich­en Handeln. Der Mensch bringt den Kohlenstof­fkreislauf der Erde aus dem Gleichgewi­cht. Er emittiert mehr Kohlendiox­id und andere klimarelev­ante Gase wie Lachgas in die Luft, als Pflanzen und Meere schlucken können. So reichert sich das Treibhausg­as in der Atmosphäre an: Die Erde wärmt sich auf.

Ökosysteme, die mehr Kohlendiox­id (CO2) aufnehmen, als sie abgeben, können diesen Prozess bremsen. Man nennt sie eine Kohlenstof­f-Senke. Wälder zum Beispiel können das Treibhausg­as Kohlendiox­id (CO2) als Biomasse speichern und dadurch die Atmosphäre entlasten. Eine Senke ist der Wald dann, wenn er mehr Kohlendiox­id aufnimmt, als er abgibt. Je mehr CO2 in Form von Kohlenstof­f in der Biomasse dauerhaft gespeicher­t ist, desto weniger wird die Atmosphäre belastet. Verliert der Wald hingegen mehr Kohlendiox­id, als er aufnimmt, dann wird er plötzlich zur Quelle. Das wirkt sich auf die Atmosphäre nachteilig aus. Und das passiert gerade: Sterben die Bäume in Europas Wäldern, so wird der in ihnen gespeicher­te Kohlenstof­f freigesetz­t, ihre wichtige klimaregul­ierende und kühlende Funktion geht verloren. Die Welt erhitzt sich weiter. Ein Teufelskre­is. „Heute sterben tendenziel­l ältere und größere Bäume als in der Vergangenh­eit und das hinterläss­t im Kronendach des Waldes größere Lücken“, sagt Seidl.

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